2.2 Auf die Ladung wirkende Kräfte


2.2.1 Kräfte im Straßenverkehr

Wie unter 2.1.1 beschrieben, sind es in erster Linie die durch Fahrzeugbeschleunigungen ausgelösten Trägheitskräfte, welche die sorgfältige Sicherung der Ladung gegen Rutschen und Kippen notwendig machen. Da die Trägheitskräfte proportional zur Masse der Ladung ansteigen, ist es schlicht falsch, wenn jemand sagt: „Diese Ladung ist so schwer, die braucht nicht gesichert zu werden, die bleibt von selber liegen!“ Richtig ist vielmehr, dass schwere Ladungen mehr gesichert werden müssen als leichte.

Merke: Trägheitskräfte steigen proportional zur Masse der Ladung an. Deshalb müssen schwere Ladungen mehr gesichert werden als leichte.

Die Fahrsituationen, welche die Ladungssicherung am meisten herausfordern, sind Vollbremsung, Anfahren, Kurvenfahrt, schneller Spurwechsel und noch schnellere Ausweichmanöver.

Bei einer Vollbremsung wird die Fahrzeugbeschleunigung, genauer die Verzögerung, wesentlich durch die verfügbare Bremskraft des Fahrzeugs, die Gesamtmasse des Fahrzeugs und durch die Haftreibung der Reifen auf der Straße bestimmt. Die Trägheitskraft wirkt auf die Ladung in Fahrtrichtung, also nach vorn. Außerdem neigt sich die Ladefläche in der Federung ein wenig nach vorn, was das Rutschen der Ladung nach vorn begünstigt. Wird der Bremsvorgang sehr schnell eingeleitet, so kommt es sofort zu Nickschwingungen der Ladefläche mit zusätzlichen Kraftspitzen nach vorn. Der ganze Vorgang wird begleitet von einem geringen Gewichtsverlust der Ladung infolge des Nickwinkels der Ladefläche.


Abbildung - LSBH

Abbildung 2.6: Kräfte bei Vollbremsung [H. Kaps]

Diese komplizierten Gegebenheiten werden in derzeitigen Richtlinien und Normen durch die einfache Beschleunigungsannahme von 0,8 g nach vorn ersetzt. Das entspricht einer Kraft von 80% des Ladungsgewichts. Der gleichzeitige geringe Gewichtsverlust der Ladung wird vernachlässigt. Wichtig ist hier noch der Hinweis, dass diese Beschleunigungsannahme unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit gilt. Also auch auf einem langsam fahrenden Fahrzeug muss die Ladung gegen eine Längskraft nach vorn von mindestens 80% ihres Gewichts gesichert werden.

Merke: Die auf die Ladung wirkende Trägheitskraft beim Bremsen
ist unabhängig von der Ausgangsgeschwindigkeit des Fahrzeugs.

Weniger stark sind diese Trägheitskräfte nach hinten. Beim Anfahren eines Lastkraftwagens entstehen unter Einbeziehen von Schaltstößen gelegentlich nach hinten gerichtete Trägheitskräfte, die in den derzeitigen Richtlinien und Normen pauschal mit 50% des Ladungsgewichts angenommen werden. Das trifft vor allem beim Anfahren am Berg zu, weil da die Schaltstöße bekanntlich stärker ausfallen und außerdem die Ladung wegen der Straßensteigung die Tendenz hat, nach hinten zu rutschen.

Kräfte in Querrichtung treten bei Kurvenfahrt und bei sonstigen Richtungsänderungen, also Spurwechsel und Ausweichmanöver auf. Es handelt sich hierbei auch um Trägheitskräfte, die aber allgemein Fliehkräfte genannt werden. Die Größe dieser Fliehkraft ist vom Radius der Kurve und ganz besonders von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs abhängig. Gerade der Geschwindigkeitseinfluss wird leicht unterschätzt, weil er sich „quadratisch“ auswirkt. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine Verdoppelung der Geschwindigkeit die Fliehkraft vervierfacht. Rechnet man hinzu, dass in der Kurve die Ladefläche infolge der Federung des Fahrzeugs sich auch noch leicht nach außen neigt, und dass beim schnellen Einschlagen des Lenkrades die Ladefläche mitsamt der Ladung zu Wankschwingungen angeregt wird, so können sich alle Querkräfte schnell bis zu 50% des Ladungsgewichts aufsummieren. Dieser Wert wird von den derzeitigen Richtlinien und Normen für anzunehmende Querkräfte angesetzt.


Abbildung - LSBH

Abbildung 2.7: Kräfte bei Kurvenfahrt [H. Kaps]

Wankschwingungen der Ladefläche erzeugen Rotationsbeschleunigungen der Ladung um ihre Längsachse. Auf diese Rotationsbeschleunigungen reagieren vor allem große Ladungseinheiten mit einer beachtlichen Rotationsträgheit und daraus folgend mit zusätzlichen Kippmomenten. Deshalb fordert die europäische Norm DIN EN 12195-1:2011 für kippgefährdete Ladungseinheiten einen Zuschlag von 10% des Ladungsgewichts zur anzunehmenden Querkraft. Dieser Zuschlag wird „Wankfaktor“ genannt.

Merke: Eine Verdoppelung der Geschwindigkeit vervierfacht
die Fliehkraft in der Kurve.

Als vertikale Kraft auf die Ladung wirkt im Ruhezustand nur ihr Gewicht. Neben dieser Gewichtskraft, die stets zum Erdmittelpunkt gerichtet ist, kommen im Verkehrsgeschehen noch weitere vertikale Kräfte vor, die in Form von Stößen, Schwingungen und Vibrationen auf die Ladung wirken. Obwohl diese zusätzlichen vertikalen Kräfte nie dazu führen, dass Ladung regelrecht von der Ladefläche abhebt, so haben sie doch einen nachteiligen Einfluss auf die Ladungssicherung. Sie verringern kurzzeitig und wiederholt das Gewicht und damit die Reibung und können eine ansonsten ungesicherte Ladung zum „Wandern“ auf der Ladefläche veranlassen.

Die anzunehmenden horizontalen Kräfte auf die Ladung im Straßenverkehr sind also:

in Längsrichtung in Querrichtung
nach vorn nach hinten nur Rutschen Kippen
80% des Gewichts 50% des Gewichts 50% des Gewichts 60% des Gewichts¹

Als anzunehmende Vertikalkraft soll in allen Fällen das volle Gewicht eingesetzt werden.