1.1 Vollbremsung
Die Vollbremsung stellt die größte Belastung der
Ladungssicherung nach vorn dar. Der neuere Stand der Entwicklung von LKW-Reifen
lässt zusammen mit modernen Bremsanlagen und Asphaltstraßen Bremsverzögerungen
zu, die durchaus an 0,8 g heranreichen
(1).
Dabei spielen weitere Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Verteilung der
Achslasten.
Die Ladefläche eines Lastkraftwagen oder eines
Sattelaufliegers ist nicht starr, sondern elastisch mit der Bremsfläche der
Reifen verbunden, so dass die Trägheitskraft der Ladung nicht unmittelbar aus
der Bremsverzögerung folgt, sondern zunächst ein Ankippen der Ladefläche nach
vorn auslöst. Dieser sogenannte Nickwinkel ist im Verlauf der Vollbremsung
nicht stationär, sondern wird von Nickschwingungen überlagert. Die Amplitude
der Nickschwingungen hängt sehr stark von der
Schwellzeit ab, also von der Dauer des Anstiegs der Bremskraft bis zu ihrem
vollen Wert.
Während einer Vollbremsung wirken im Koordinatensystem der
Ladefläche folgende Kräfte auf die Ladung nach vorn (parallel zur Ladefläche):
- Trägheitskraftkomponente aus dem Bremsvorgang,
- Hangabtrieb infolge geodätischer Ladeflächenneigung (Nickwinkel
und Straßengefälle),
- Trägheitskraft infolge Tangentialbeschleunigung aus überlagerter
Nickschwingung.
Die von der Ladung auf die Ladefläche wirkende Normalkraft
wird dabei in der Regel aus zwei Ursachen verringert, nämlich durch die infolge
der Ladeflächenneigung
- nach oben gerichtete Vertikalkomponente der Trägheitskraft,
- verringerte Normalkomponente der Gewichtskraft.
Die nach oben gerichtete
Vertikalkomponente der Trägheitskraft sowie die verringerte Normalkraft infolge
geodätischer Ladeflächenneigung verringern sowohl die Reibung zur Ladefläche
als auch das Standmoment einer Ladungseinheit.

Bild 1: Scharfes Bremsen auf abschüssiger Straße

Bild 2: Vollbremsung auf
ebener Straße aus 90 km/h mit 0,8 g Bremsverzögerung und 0,3 s
Schwellzeit; Bremsweg = 42,9 m
Bild 2 zeigt die numerische Lösung der
Bewegungsgleichungen über einen Zeitraum von 6 Sekunden. Die auf die Ladung
wirkenden Kräfte sind in Einheiten von g umgerechnet dargestellt worden. Das
Fahrzeug steht nach ca. 3,3 Sekunden.
Der LKW ist so beladen, dass sich bei 0,8 g Verzögerung
ein stationärer Nickwinkel von 4° ergibt. Der maximale Nickwinkel nach 0,9
Sekunden beträgt 5,5° auf Grund der überlagerten Nickschwingung. Diese ist
stark gedämpft und klingt bis zum Stillstand des Fahrzeugs weitgehend ab,
erhält aber durch den bekannten Ruck am Ende des Bremsvorgangs nochmals eine
Anregung.
Die maximale Längskraft auf die Ladung bei 0,9 Sekunden
entspricht 0,98 g. Dort ist gleichzeitig die Normalkraft auf 0,92 g zurück
gefallen.
Zahlreiche weitere simulierte Vollbremsungen mit anderen
Geschwindigkeiten, ansteigendem und abfallendem Straßengefälle und anderen
Fahrzeugtypen (z.B. Sattelauflieger mit kleinerem Nickwinkel) zeigen ähnliche
Verläufe. Es lassen sich folgende, allgemeine Erkenntnisse ableiten:
- Wenn mit einer Bremskraftübertragung entsprechend 0,8 g gerechnet
wird, muss die Ladungssicherung auf knapp 1,0 g ausgelegt sein, weil durch
Hangabtrieb aus dem Nickwinkel, verstärkt durch Tangentialkraft aus
überlagerter Nickschwingung knapp 0,2 g hinzu kommen.
- Vollbremsungen aus geringeren Anfangsgeschwindigkeiten zeigen nur
unwesentlich günstigere Ergebnisse. Erst bei Geschwindigkeiten unter 15 km/h
kann es dazu kommen, dass das Fahrzeug bereits steht, bevor die maximale
Längskraft erreicht worden ist.
- Sattelauflieger, bei denen der Nickwinkel mit dem halben
Wert angenommen worden ist, erfahren um ca. 3% kleinere Längskräfte und einen
um 4% geringeren Abbau der Normalkraft. Diese Vergünstigung fällt deshalb nicht
deutlicher aus, weil gleichzeitig die Nickschwingungsperiode kürzer wird und
die Amplituden der Nickschwingungen nur unwesentlich kleiner werden gegenüber
einem Fahrzeug mit 4° stationärem Nickwinkel.
- Je steifer eine Ladefläche gelagert ist, d.h. je weniger
sie auf Verzögerung mit einem Nickwinkel und mit Nickschwingungen reagiert,
desto mehr nähert sich die auf die Ladung wirkende Längskraft der reinen
Trägheitskraft aus der Bremsverzögerung an.
- Sanftere Bremsvorgänge mit Schwellzeiten über 2 Sekunden
zeigen kaum noch überlagerte Nickschwingungen. Rechnet man mit 0,8 g maximaler
Bremsverzögerung, so ist der Zuschlag nur noch für den Hangabtrieb aus
stationärem Nickwinkel zu machen. Der Zuschlag ergibt sich aus dem Sinus dieses
Winkels.
- Bei einer Vollbremsung bergauf aus 50 km/h wird die
Bremskraft durch den Hangabtrieb unterstützt und der Bremsweg dadurch deutlich
kürzer als auf ebener Straße. Der effektive Nickwinkel wird allerdings durch
die nach hinten gerichtete Straßenneigung verkleinert, so dass der Unterschied
in der Längskraft auf die Ladung gegenüber der Situation auf ebener Straße fast
ausgeglichen wird. Unter den gewählten Randbedingungen gemäß Bild 2 ist die
Ladung gegen eine Beschleunigungen von 0,99 g zu sichern.
- Bei einer Vollbremsung bergab aus 50 km/h ist die
Längskraft auf die Ladung etwas kleiner als bei einer Vollbremsung auf ebener
Straße. Die effektive Bremskraft ist kleiner und der Bremsweg größer.
Allerdings wird der Hangabtrieb durch die Straßenneigung vergrößert. Unter den
gewählten Randbedingungen ist die Ladung gegen eine Beschleunigungen von 0,96 g
zu sichern.
- Rechenverfahren zur Bemessung der Ladungssicherung in
Längsrichtung sollten in geeigneter Weise den Abbau der Normalkraft
berücksichtigen.
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