1  Niederzurrung
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1.1 Wesen der Niederzurrtechnik

Die Niederzurrtechnik ist mit Sicherheit eine archaische Form der Ladungssicherung, denn die früheren auf Pferdefuhrwerken transportierten Ladungseinheiten in Form von Ballen, Fässern, Krügen und vielleicht Holzkisten eigneten sich kaum für Direktzurrung.

Eindrucksvoll wird die Niederzurrtechnik durch die Sicherung einer hohen Heuladung auf einem Leiterwagen demonstriert (Bild 1). Der Längsbalken auf dem Heu wird an beiden Enden durch jeweils zwei schräg laufende Ketten niedergehalten. Zusätzlich verlaufen mindestens drei Niederzurrungen aus Seilen quer über die Heuladung. Bei näherer Betrachtung enthält diese Sicherungsanordnung nahezu alle wesentlichen Elemente einer guten Niederzurrung:

  • Das Heu wird zusammengepresst und sorgt durch seine Elastizität für eine gute und bleibende Vorspannung in den Ketten und Zurrseilen. Diese Aufgabe fällt heute bei Niederzurrung von steifen Ladungseinheiten allein den Zurrmitteln zu, die deshalb eine geeignete Elastizität aufweisen und nachspannbar sein sollten.
  • Der lange Heubalken aus Rundholz sorgt für eine gute Längsverteilung der vertikalen Sicherungskräfte und verhindert zu tiefes Einschneiden der Zurrseile. Das übernehmen heute bei ähnlich nachgiebigen Ladungen sogenannte Kantenbleche, die leider oft fehlen.
  • Die Zurrseile erfüllen den erwünschten Nebeneffekt der Kompaktierung der Heuladung. Auch das ist noch heute eine wichtige Nebenaufgabe einer Niederzurrung.

Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 1: Heuwagen mit Sicherung durch Niederzurrung, © http:// kleinsthof.de

Die Sicherungswirkung einer quer zur Fahrzeugachse verlaufenden Niederzurrung ist vielschichtig und lässt sich in folgende Elemente gliedern:

  1. Die Vertikalkomponenten der Zurrkräfte erhöhen die Reibung zwischen Ladung und Ladefläche, aber auch zwischen horizontal geschichteten Ladungsteilen und sichern so gegen horizontale Verlagerung. Diese Wirkung ist für alle Richtungen gegeben, also längs und quer zur Fahrzeuglängsachse, setzt aber eine permanente Vorspannung in der Niederzurrung und einen brauchbaren Reibbeiwert voraus.
  2. Bei äußerer Beanspruchung quer zur Fahrzeugachse wird sich die Ladung ein wenig seitwärts bewegen. Dies kann durch Versatz (Rutschen) oder Verschub (Verformung) geschehen. Bei schräg verlaufender Niederzurrung tritt infolge der Reibung zwischen Zurrmittel und Ladung eine kleine, sichernde Querkomponente als Differenz der Kräfte in den Anteilen der Niederzurrung auf. Bei rein vertikaler Niederzurrung bekommen beide Anteile der Niederzurrung sichernde Querkomponenten. Im Übergangsbereich zwischen schräger und vertikaler Niederzurrung treten beide Effekte nebeneinander auf.
  3. Bei äußerer Beanspruchung längs zur Fahrzeugachse wird sich die Ladung ein wenig in Längsrichtung bewegen. Beide Anteile einer quer verlaufenden Niederzurrung, ob schräg oder vertikal, werden dadurch in Längsrichtung geneigt und bekommen kleine, sichernde Längskomponenten, deren mögliche Größe durch die Reibung zwischen Ladung und Zurrmittel begrenzt wird.
  4. Kippgefährdete Ladungseinheiten erhalten durch eine Niederzurrung eine vergrößerte Standsicherheit in alle Richtungen, da die Summe der Vertikalkomponenten der Zurrkräfte dem Eigengewicht zugeschlagen werden können und dadurch das Eigenstandmoment vergrößern. Diese vereinfachte Betrachtungsweise gilt allerdings nur für symmetrische Verhältnisse. Verlaufen die Zurrmittel asymmetrisch bezogen auf den Schwerpunkt der Ladung oder die wirksamen Kippachsen, so müssen die Niederzurrkräfte einzeln in Rechnung gestellt werden.
  5. Bei äußerer Beanspruchung quer zur Fahrzeugachse wird sich eine kippgefährdete Ladungseinheit ein wenig seitwärts bewegen oder sogar etwas ankippen. Dadurch verändern sich die geometrische Verhältnisse in günstiger Weise, so dass kleine zusätzliche Momente entstehen, welche die Standsicherheit erhöhen.
  6. Bei äußerer Beanspruchung längs zur Fahrzeugachse wird sich eine kippgefährdete Ladungseinheit ein wenig in Längsrichtung bewegen oder sogar etwas ankippen. Beide Anteile einer quer verlaufenden Niederzurrung wirken dann wie eine Direktsicherung und verhindern das Kippen, wobei die Belastungsgrenze durch den LC-Wert gegeben ist. Diese vergleichsweise große Kraft wird aber erst nach entsprechender Dehnung erreicht, was wiederum ein deutliches Ankippen mit dynamischen Zusatzeffekten bedeuten würde. Deshalb sollte die Belastungsgrenze LC nicht als Modellparameter benutzt werden.
  7. Die angeführten Bewegungen der Ladung können unter Umständen zu einer kleinen elastischen Dehnung der Zurrmittel und dadurch zu einem Anstieg der Kräfte führen. Dies erhöht die Wirkungen unter 1. bis 6. der Aufzählung.
  8. Im Falle mehrerer nebeneinander oder übereinander stehender Ladungseinheiten wirkt eine Niederzurrung auch kompaktierend. Das kann bei anfänglichen Staulücken allerdings auch zu einem Abfall der Vorspannung in der Niederzurrung führen. Deshalb sind nachspannbare Spannmittel und deren bedarfsgerechte Betätigung wichtig.
  9. Elastische Niederzurrungen dämpfen vertikale Schwingungen einer Ladung, die durch Unebenheiten der Straße ausgelöst werden können. Deshalb ist es wichtig, auch dann, wenn die Reibung allein zur Sicherung ausreichend erscheint, mindestens zwei Niederzurrungen zu setzen.

Diese komplexen Wirkmechanismen entziehen sich einer einfachen rechnerischen Nachbildung und verlangen geradezu ausdrücklich den Entwurf eines vereinfachten Rechenmodells, welches nichtsdestoweniger den Gesamtumfang der Wirkungen quasi umhüllend abbildet. Das ist in der Vergangenheit offenbar nur unzureichend gelungen.


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1.2 Traditionelle Bewertungsmodelle

Das traditionelle Bewertungsmodell für Niederzurrungen, welches z.B. in der deutschen Richtlinie VDI 2702 vom Mai 1990 dargestellt wird, verwendet ausschließlich die im vorangegangenen Kapitel unter 1. und 4. beschriebenen Wirkungen. So wird als Sicherungswirkung gegen Rutschen ausschließlich die Reibungserhöhung durch die Summe der Vertikalkomponenten der Zurrkräfte verwertet. Als Sicherungswirkung gegen Kippen wird im gleichen Sinne die Summe der Vertikalkomponenten der Zurrkräfte zur Erhöhung der Standsicherheit eingesetzt. In mathematischer Schreibweise ergeben sich folgende Bilanzen:

  Rutschbilanz: (1)
  Kippbilanz: (2)

f = Beschleunigungsbeiwert (0,8 nach vorn, 0,5 nach hinten und zu den Seiten)

G = Gewicht der zu sichernden Ladung [daN]

μ = Reibbeiwert zwischen Ladung und Ladefläche

n = Anzahl der Niederzurrungen

FT = Vorspannung in der Niederzurrung [daN]

α = vertikaler Zurrwinkel [°]

a = Hebel des Kippmoments [m]

b = Hebel des Standmoments [m]

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Bild 2: Traditionelle Bewertung einer Niederzurrung

Diese beiden Modelle haben zwei unschätzbare Vorteile. Sie sind gleichermaßen in Längs- und in Querrichtung des Fahrzeugs verwendbar und sie sind nicht auf die Auswertung der Wirkungen von kleinen Ladungsbewegungen angewiesen. Die auf kleinen Ladungsbewegungen beruhenden Sicherungswirkungen, die zwar allesamt deutlich geringer als die Hauptwirkung Reibungserhöhung sind, werden nicht beachtet.

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, die Ladung soll sich ja auch nicht bewegen. Das aber wäre inkonsequent, da man auch jeder Direktsicherung (siehe Kapitel 2) eine durchaus erhebliche Bewegung zugestehen muss, um die volle Sicherungskapazität LC der Zurr­mittel auszuschöpfen, wie es die üblichen Rechenmodelle vorsehen. Es widerspräche außerdem den Gesetzen der Mechanik, der Störung eines Kräfte- oder Momentengleichgewichts ohne Bewegung der betroffenen Masse begegnen zu wollen. Eine niedergezurrte Ladung darf sich bei äußerer Belastung bewegen und sie tut es auch, wie alle Fahrversuche beweisen.

Insgesamt haben die oben genannten Rechenmodelle, die sich durchaus in der Praxis bewährt haben, bei vielen Anwendern den Eindruck erweckt, als enthielten sie die vollständige physikalische Beschreibung der Sicherungswirkung einer Niederzurrung. Daraus hat sich z.B. der „Lehrsatz“ ergeben, dass eine Niederzurrung möglichst senkrecht verlaufen solle, weil der Sinus des Zurrwinkels a erst bei 90° den größtmöglichen Wert erreicht. Auch wird gelegentlich argumentiert, da sich die Ladung ja nicht bewege, sei es logisch, den Haftreibbeiwert für m einzusetzen. Diese Schlussfolgerungen sind nicht haltbar, wie in Kapitel 1.4 gezeigt wird.

Fest steht, dass die genannten Rechenmodelle einen beträchtlichen Prozentsatz der potenziellen Sicherungswirkung einer Niederzurrung außeracht lassen. Man befindet sich also bei ihrer Anwendung deutlich auf der sicheren Seite, vor allem, wenn der niedrigere Gleitreibbeiwert in Rechnung gesetzt wird. Ob diese rechnerische Sicherheitsreserve den Vorspannungsverlust bei einseitigem Spannmittel oder das mögliche Nachlassen der Vorspannung in den Niederzurrungen während einer längeren Fahrt oder Unsicherheiten in der Bemessung der Reibung ausgleichen sollte, ist unbekannt. Derartige Abwägungen der Väter der oben genannten Rechenmodelle sind leider nicht überliefert.

Auf einen kleinen, verborgenen Makel der oben genannten Rechenmodelle muss noch hingewiesen werden. Es handelt sich um den dominanten Einfluss des Reibbeiwerts μ bzw. des Standhebels b. Betrachtet man die Sicherungswirkungen der Niederzurrung in beiden Modellen isoliert, so haben die genannten Größen μ und b einen linearen Einfluss, d.h. die Sicherungswirkung verdoppelt sich, wenn μ bzw. b verdoppelt wird.

Sicherungswirkung gegen Rutschen:
Sicherungswirkung gegen Kippen:

Das entspricht rein gefühlsmäßig den Erwartungen jedes Praktikers. Jedoch erhält man einen deutlich nichtlinearen Einfluss der Größen μ und b, wenn man die vollständigen Bilanzen heranzieht und dazu verwendet, die notwendige Anzahl der Niederzurrungen oder die notwendige Vorspannkraft zu ermitteln. In den folgenden Beispielen wird die notwendige Anzahl n der Niederzurrungen in Abhängigkeit vom Reibbeiwert μ bzw. vom Standhebel b dargestellt. Die oben genannten Bilanzen werden zu dem Zweck nach n umgestellt.

Notwendige Anzahl n gegen Rutschen: (3)
Notwendige Anzahl n gegen Kippen: (4)

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Bild 3: Einfluss des Reibbeiwerts auf die notwendige Anzahl von Niederzurrungen

Es ist zu erkennen, dass kein linearer, sondern ein hyperbolischer Zusammenhang zwischen n und μ bzw. zwischen n und b besteht. Der Grund hierfür ist, dass μ wie auch b nicht nur die Sicherungswirkung direkt und linear beeinflussen, sondern über das Ladungsgewicht auch maßgeblich den Bedarf an Sicherungswirkung aus der Niederzurrung bestimmen. Das ist zwar physikalisch richtig, aber eben durch das Ausblenden der sonstigen Sicherungswirkungen, die im Grunde Direktsicherungscharakter haben, unvollständig. Somit kann es dazu kommen, dass z.B. bei einem geringen Reibbeiwert μ eine „gefühlte Unzahl“ von Niederzurrungen durch das Modell gefordert werden. Das kann unter Praktikern die Glaubwürdigkeit der vereinfachten Rechenmodelle beeinträchtigen.

Grundsätzlich sollte bei Anwendung der Niederzurrtechnik für einen guten Reibbeiwert von mindesten μ = 0,3 gesorgt werden. Dann hält sich die Nichtlinearität des Bezugs zur notwendigen Anzahl der Niederzurrungen in vernünftigen Grenzen. Ebenso sind extrem kleine Standhebel b selten, so dass der beschriebene Geburtsfehler der Rechenmodelle in der Praxis nicht von überragender Bedeutung ist. Insgesamt gesehen waren also diese Modelle der Richtlinie VDI 2702 von 1990 mit der Empfehlung, den Gleitreibbeiwert zu verwenden, durchaus reichlich angemessen und erfolgreich. Das gilt auch für die inhaltlich leicht geänderte Fassung mit der Bezeichnung VDI 2700 Blatt 2 vom November 2002.


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1.3 Verbesserungsversuche in EN 12195-1:2003

Bei den Beratungen zur Erstellung einer europäischen Norm zur Vereinheitlichung der Ladungssicherung um die Jahrtausendwende wurde ein Hinweis in der Richtlinie VDI 2700 Blatt 2 vom November 2002 aufgegriffen, welcher auf die durchgängig einseitig angeordneten Spannmittel von Niederzurrungen gerichtet war.

Der Hinweis lautet: „Bei Niederzurrung und nur einseitiger Spannvorrichtung kann auf der Vorspannseite im Rahmen der zulässigen Zurrmittelkraft – und Rücksicht auf den zunächst auftretenden Vorspannkraft-Unterschied infolge der Umschlingungsverluste – eine höhere Vorspannkraft sinnvoll sein.“ Dieser Hinweis war in der genannten Richtlinie im Zusammenhang mit der rechnerisch ermittelten Mindestvorspannkraft zu sehen, mit der die Kräfte- und Momentenbilanzen erfüllt werden.

Mit dieser Fußnote wollte man sich in der europäischen Norm nicht zufrieden geben und hat den tatsächlich zu erwartenden Verlust an Vorspannkraft durch eine pauschale Korrektur in Rechnung gesetzt. Das war die Geburt des k-Faktors. Da die maßgeblichen physikalischen Zusammenhänge bei der weiteren Beurteilung der Sicherungswirkung einer Niederzurrung wichtig sind, wird an dieser Stelle ein wenig weiter ausgeholt.

1.3.1 Physikalische Grundlagen des k-Faktors

Die Berücksichtigung eines k-Faktors geht von der unbestreitbaren Tatsache aus, dass beim einseitigen Spannen eines umgelenkten Seils oder Gurts hinter der Umlenkstelle infolge der Reibung eine verringerte „resultierende“ Kraft Fres zu verzeichnen ist. Dieser Umstand ist von Leonhard Euler (1707 – 1783) mathematisch beschrieben und später von Johann Albert Eytelwein (1764 – 1848) der Technik und dem Ingenieurwesen zugänglich gemacht worden.


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Bild 4: Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Die Eulersche Zahl e ist eine wichtige Naturkonstante und lautet im Dezimalsystem gerundet 2,718281828. Die Funktion ex ist auf allen erweiterten Taschenrechnern enthalten. Die in Bild 4 dargestellte Umlenkung des Seils über einen Winkel a = 75° und mit einem angenommenen Reibbeiwert zwischen Seil und Umlenkstelle μ = 0,2 würde bei einer Zugkraft F = 100 daN dazu führen, dass auf der anderen Seite nur die Kraft Fres = 77 daN ankommt. Der Umlenkwinkel muss im Bogenmaß in Rechnung gesetzt werden. Er hat in diesem Beispiel den Wert von rund 75 / 57,3 = 1,31 rad.

   

Der Radius der Umlenkstelle spielt dabei keine Rolle, solange er nicht so klein wird, dass die innere Steifigkeit des Seils einen zusätzlichen Kraftverlust herbeiführt. Mit den flachen Zurrgurten kann der Umlenkradius durchaus knapp unter 1 cm sein, ohne dass dieser Kanteneffekt merklich in Erscheinung tritt. Bei einer Kette ist dieser Grenzradius deutlich größer.


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1.3.2 Der k-Faktor in der Niederzurrung

Die Euler’sche Kantenreibung lässt sich an einer üblichen Niederzurrung leicht anhand des Zurrwinkels α abschätzen, der zwischen Zurrgurt und Ladefläche liegt. Wie Bild 5 zeigt, wird der Zurrgurt zweimal um den gleichen Winkel α umgelenkt. Bei jeder dieser Umlenkungen wird die Vorspannung FT durch den Faktor c = eμ×α geschwächt. Der hier verwendete Reibbeiwert μ‘ gilt für die Reibung zwischen Gurt und Ladungseinheit.


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Bild 5: Vorspannungsverlust durch Reibung an den Ladungskanten

Geht man von Zurrwinkeln zwischen 80° und 90° und von Reibbeiwerten von 0,20 bis 0,25 zwischen Gurt und Ladung aus, so erhält man Werte für den Faktor c2 um 0,5. Das bedeutet, dass von der Vorspannung FT an der Ratsche etwa nur die Hälfte auf der anderen Seite ankommt. Es stehen als Summe der Vertikalkomponenten der Vorspannung also nicht wie in der Richtlinie VDI 2702 unterstellt (2 × FT × sinα), sondern nur (1,5 × FT × sinα) zur Verfügung. Der Faktor 2 bzw. 1,5 wurde k-Faktor genannt und in der DIN EN 12195-1:2004 bei einseitigem Spannmittel auf 1,5 festgesetzt und bei beidseitigem Spannmittel auf 2 belassen.

Da die einseitige Anordnung des Spannmittels aus praktischen Gründen die Regel ist, wurde mit dieser Festsetzung die rechnerische Sicherungswirkung einer Niederzurrung sowohl zum Verhindern des Rutschens als auch des Kippens um 25% verringert. Dieser rechnerische Verlust muss bei ansonsten gleichbleibenden Werten von Reibung und Vorspannung durch eine um 33,3% erhöhte Anzahl von Gurten ausgeglichen werden.

Diese substanzielle Erhöhung der Sicherungsanforderung ist im Nachhinein nicht leicht zu verstehen. Es lagen, soweit bekannt, keine systematischen Untersuchungen in Form von Unfallanalysen und Statistiken vor, die belegt hätten, dass Niederzurrungen gemäß der vorher bestehenden Richtlinie VDI 2702 bzw. VDI 2700 Blatt 2 nicht ausreichend gewesen wären. So kann die breite Akzeptanz dieser Änderung durch die deutsche Fachwelt vielleicht nur durch die erdrückende Überzeugungskraft der Euler’schen Gleichung erklärt werden. Die lässt sich freilich durch eine einfache Versuchs- und Messanordnung eindrucksvoll demonstrieren, was tatsächlich auch geschehen ist.

Somit sind die ursprünglichen Rechenmodelle zur Bewertung einer Niederzurrung zwar im Detail korrigiert worden. Ihre Eignung zur ausgewogenen Abbildung aller Sicherungswirkungen einer Niederzurrung muss hingegen mehr als zuvor in Frage gestellt werden, es sei denn, man wünscht bewusst einen Sicherheitsgewinn, den man mit einem 33%igen Mehraufwand an Zurrgurten zu bezahlen bereit ist.


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1.3.3 Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2004

Mit der Einführung des k-Faktors wurde erstmalig die Möglichkeit eröffnet, mit den Querkomponenten einer schrägen Niederzurrung zu rechnen. Bislang war man stillschweigend davon ausgegangen, dass sich diese Horizontalkomponenten im Ruhezustand – ähnlich wie bei Direktzurrung – gegenseitig aufheben. Die Querkomponenten der Niederzurrung in Bild 6 betragen links FT × cosα und rechts FT × c2 × cosα. Wirksam ist jeweils die Differenz, weil die Kräfte in entgegengesetzte Richtungen weisen.


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Bild 6: Komponenten einer Niederzurrung mit unterschiedlicher Vorspannung

Daraus folgt für die Sicherungswirkungen gegen Rutschen, einschließlich der Reibungserhöhung durch die Vertikalkomponente:

Sicherungswirkung nach links: (5)
Sicherungswirkung nach rechts: (6)

Für die Sicherungswirkungen gegen Kippen ergeben sich ähnliche Formeln:

Sicherungswirkung nach links: (7)
Sicherungswirkung nach rechts: (8)

Die Gleichungen zeigen, dass die Sicherungswirkungen nach links deutlich erhöht und die nach rechts ebenso deutlich verringert sind. Letztere können bei geeigneter Wahl der Parameter α, c, B und H zu Null werden oder sogar negativ. Allein diese Erkenntnis macht deutlich, dass derartige Rechenmodelle, obwohl mathematisch einwandfrei, nicht mit der Realität übereinstimmen können, diese also physikalisch unzureichend abbilden. Die Lösung des Problems wird in Kapitel 1.4 gezeigt.

In der Fassung der DIN EN 12195-1 von 2004 ist man nicht ganz so weit gegangen. Bei der Formulierung der Sicherungswirkungen gegen Rutschen hat man die Querkomponenten nicht berücksichtigt. Beim Kippen hat man es jedoch getan und ist von dem ungünstigen Fall ausgegangen, wie ihn die Sicherungswirkung gegen Kippen nach rechts (Gleichung 8) zeigt. Man erhält wegen der Möglichkeit, dass die Sicherungswirkung sehr klein, Null oder sogar negativ werden kann, in der Tat eine Formel, die unter Umständen eine unendlich große Anzahl von Niederzurrungen oder sogar eine negative Anzahl fordert. Darauf ist bereits im Bericht „Ladungssicherung im Straßenverkehr – Wer kennt die Wahrheit?“ ausführlich eingegangen worden.


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1.3.4 Die genormte Vorspannkraft STF

Die Einführung des k-Faktors in die EN 12195-1:2003 hat in Teilen des europäischen Auslands keine Zustimmung gefunden und Unzufriedenheit ausgelöst. Es wurde mit gerechneten Beispielen von unsinnig großer Anzahl von Niederzurrungen argumentiert und auch mit den Ergebnissen praktischer Versuche und Messungen(1) dagegen gehalten. Auch die vereinbarte Größe des k-Faktors wurde und wird noch heute bestritten, obwohl er in der Fassung EN 12195-1:2010 offiziell wieder abgeschafft worden ist.

Die gerechneten Beispiele belegen vor allem die offenkundige Unbrauchbarkeit der vorgelegten Formel zur Prüfung der Kippsicherung durch Niederzurrung. Die Ergebnisse der praktischen Versuche und Messungen können und sollen hier weder bestätigt noch bestritten werden. Die nachträglichen Überlegungen zur Größe des k-Faktors verdienen jedoch eine Erörterung, da hierdurch weitere wichtige Fakten dargestellt werden können. Es geht um die erreichbare Vorspannkraft in einer Niederzurrung, die unstrittig neben der Reibung die Hauptrolle für die Sicherungswirkung spielt.

In der Richtlinie VDI 2700 Blatt 2 vom Januar 2002 wird über die anzustrebende Vorspannung in einer Niederzurrung lediglich gesagt, dass sie 50% der zulässigen Zurrkraft LC des verwendeten Zurrmittels nicht überschreiten, aber mindestens den Wert haben solle, der sich durch Auflösen der Rutsch- oder Kippbilanz nach der Vorspannung FT ergibt. Ein gerechnetes Beispiel in dieser Richtlinie zeigt als Mindestvorspannkraft den Wert 1563 daN. Dieser Wert ist mit üblichen Zurrgurten jedoch keinesfalls zu erreichen.

Auch die DIN EN 12195-1:2004 verlangt noch lapidar für die Vorspannkraft FT in Niederzurrungen Werte zwischen 0,1 LC und 0,5 LC, obwohl dort unter den normativen Verweisungen bereits die im Februar 2000 erschienene EN 12195-2 enthalten ist, welche eine „Standard Tension Force“ (STF) definiert. Diese Norm, im Februar 2001 als DIN EN 12195-2 über „Zurrgurte aus Chemiefasern“ erschienen, legt erstmals die mit üblichen Ratschen erreichbare Vorspannkraft von Zurrgurten und ihre Feststellung durch ein einheitliches Prüfverfahren fest.

Erst im Entwurf zur revidierten Fassung der VDI 2700 Blatt 2 vom Januar 2002 wie auch in der DIN EN 12195-1:2011 wird dieser STF-Wert als anzunehmende Vorspannkraft in der Bilanzrechnung empfohlen. Daraus ergibt sich eine Folge für den k-Faktor.

Der in Bild 5 dargestellte Fall setzt voraus, dass die Vorspannung FT mit einem stetig arbeitenden Spannmittel, z.B. mit einer Spannschraube hergestellt wird. Üblicherweise werden zum Spannen von Textilfasergurten aber Spannratschen mit einem Repetierhebel verwendet.  Beim Spannen wird dieser Hebel so lange betätigt, bis eine Handkraft(2) von nicht mehr als 50 daN erreicht ist. Dann wird der Ratschenhebel wieder nachgelassen, bis die Sperrklinke der Ratsche in den zuletzt übersprungenen Zahn der Wickeltrommel einrastet. Durch dieses Nachlassen fällt die Vorspannung im diesem Gurtteil wieder etwas ab.

Auf diese Weise kommt es dazu, dass auf der Spanngegenseite eine höhere Vorspannung steht, als es nach der Euler’schen Formel mit Bezug auf die verbliebene Vorspannung auf der Spannseite zu erwarten wäre. Dieser für Spannratschen typische Arbeitsablauf wird in einer jüngeren Veröffentlichung(3) als Argument für die Verwendung eines k-Faktors = 2 vorgetragen, gleichbedeutend mit einer gleichen Vorspannung auf beiden Seiten des Gurts. Das Argument leuchtet zunächst ein. Aber bei genauerem Hinsehen ist der Spielraum dieses Vorspannungsausgleichs gering, wenn die Ratschen „bestimmungsgemäß“ im Rahmen der Norm verwendet werden.

Die auf dem Etikett jedes genormten Gurts bescheinigte Spannkraft STF wird für jeden Gurt-Prototypen nach einem in der Norm DIN EN 12195-2:2001 beschrieben Prüfverfahren bestimmt. Dieses Verfahren bildet die praktische Anwendung des Gurts in einer ebenfalls genormten Prüfvorrichtung nach, in welcher nach Spannen mit der „normalen Handkraft“ SHF von 50 daN der Spannhebel nachgelassen wird, bis die Sperrvorrichtung in den zuvor passierten Zahn der Wickelwelle einrastet. Der dadurch entstehende Kraftabbau wirkt sich infolge der mehrfachen Wiederholung des Prüfvorgangs bei versetztem Gurtband statistisch so aus, dass je nach Abstand der Zähne nur etwa 70% bis 90% der aus SHF maximal möglichen Vorspannung als STF bescheinigt werden können.

Dieser Prüfvorgang lässt sich mathematisch folgendermaßen modellieren. Die Spannung des Gurts mit der normalen Handkraft SHF erzeugt die anfängliche Kraft Fmax auf der Spannseite und die zugehörige Restkraft (k – 1) × Fmax auf der Gegenseite. Durch das anschließende Einrasten des Spannhebels nimmt die Kraft auf der Spannseite um den Betrag ΔF ab. Die Restkraft ist die genormte Spannkraft STF = Fmax – ΔF. Daraus lässt sich der auf STF bezogene neue Faktor k‘ berechnen.

(9)

Es ist sofort ersichtlich, dass dieser berichtigte Wert k‘ größer als k sein muss. Er tendiert zu größeren Werten bei Spannratschen mit 10 oder 11 Zähnen im Sperrkranz der Wickelachse und zu kleineren bei 18 oder 20 Zähnen. Um die Größenordnung von k‘ abzuschätzen, müssen die Größen Fmax und ΔF wenigstens annähernd genau bestimmt werden. Die anfängliche Vorspannung Fmax wird aus der normalen Handkraft und dem Übersetzungsverhältnis der Ratsche mit Abzug für Reibung in der Ratschenmechanik berechnet.

[daN] (10)

Das Nachlassen in den letzten Zahn der Wickelachse führt zu einer elastischen Verkürzung des Gurts um eine Strecke ΔL, die sich im statistischen Mittel aus dem Bogenmaß eines halben Zahnwinkels, multipliziert mit dem wirksamen Wickelradius ergibt. Diese Strecke ist:

[mm] (11)

Die zur Berechnung des Kraftabbaus im Gurtabschnitt der Länge L benötigte Federkonstante D wird aus der für qualitativ hochwertige Gurte zutreffenden Angabe einer etwa 4%igen elastischen Dehnung bei Erreichen des LC-Wertes geschätzt. Es gilt: D = LC / (0,04 × L). Die Länge L muss hier ebenfalls in mm eingesetzt werden.

[daN] (12)

Fmax = mit der normalen Handkraft erreichbare Vorspannung ohne Nachlassen [daN]

R = Hebellänge der Ratsche [mm]

r = wirksamer Radius der Wickelachse mit ca. 2 Lagen Gurtband [mm]

μR = Reibbeiwert in der Ratschenmechanik

STF = genormte Vorspannkraft [daN]

SHF = normale Handkraft = 50 [daN]

ΔL = Nachlassen des Gurts beim Einrasten der Sperrmechanik [mm]

ΔF = Abfall der Vorspannkraft nach Einrasten der Sperrmechanik [daN]

z = Anzahl der Zähne der Sperrmechanik

D = Federkonstante des Gurts [daN/mm]

LC = Zulässige Belastbarkeit des Gurts [daN]

L = Länge des betrachteten Gurtabschnitts [mm]

Ein Mittelwert aus der Untersuchung von 30 unterschiedlichen Spannratschen verschiedener Hersteller hat ausgehend von k = 1,5 den Wert k‘ = 1,60 ergeben.


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Bild 7: Spannratschen

Ein typisches Beispiel ergibt sich aus folgenden Zahlen, ebenfalls ausgehend von k = 1,5: Bescheinigtes STF = 480 daN; Hebellänge R = 265 mm; Wickelradius r = 19 mm; Anzahl der Zähne z = 11; Nutzlast LC = 2000 daN; angenommene Gurtlänge auf der Spannseite L = 2700 mm; Reibbeiwert der Ratsche μR = 0,16; normale Handkraft SHF = 50 daN.

[daN]
[daN]

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Bild 8: k‘-Faktoren  von Spannratschen

Bild 8 zeigt die Ermittlung der k‘-Werte für 30 unterschiedliche Spannratschen. Der Berechnung geht von einem nominellen k-Faktor von 1,5 aus, der sich z.B. aus einem Zurrwinkel von α = 90° und einem Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung von m = 0,22 ergibt. Die schwarzen Rhomben bezeichnen die k‘-Werte bezogen auf die bescheinigten STF-Werte.  Die roten Quadrate bezeichnen die k‘-Werte bezogen auf die nach dem Rechenmodell berechneten STF-Werte. In beiden Fällen ergibt sich der genannte Mittelwert von 1,61. Die auf die bescheinigten STF-Werte bezogenen k‘-Werte streuen erheblich stärker. Das ist merkwürdig und könnte die Folge von unzureichend durchgeführten Prüfverfahren sein.

Zunächst einmal ist das Argument in der oben genannten Publikation für einen generellen k-Faktor = 2 durch den beschriebenen Arbeitsvorgang beim Spannen eines Gurts relativiert und für den Regelfall widerlegt worden.

Allerdings kann sich eine erhebliche Fehlbewertung einer Niederzurrung dann ergeben, wenn die bescheinigte „normale Spannkraft“ STF auf Grund des in DIN EN 12195-2:2001 unbefriedigend beschriebenen Prüfverfahrens(4) zu klein festgestellt worden ist. Setzt man die in der Praxis mit der normalen Handkraft erreichbaren Werte zu diesem zu kleinen Wert ins Verhältnis, so können sich faktisch k-Faktoren von deutlich über 2 ergeben, die aber von der Norm nicht gebilligt werden. Trotzdem dürfte der in der erwähnten Veröffentlichung angegebene Wert von k = 2,8 ein extremer Einzelfall sein, bei dem das bescheinigte STF zu klein war und die Ratsche über den genormten Verwendungsbereich hinaus gespannt wurde.


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1.3.5 Nutzen der Reibung zwischen Zurrmittel und Ladung

Der Gedanke, die Reibung zwischen Gurt und Ladung für die Ladungssicherung nutzbar zu machen, ist nicht neu und wurde bereits in der deutschen Richtlinie VDI 2702 vom Mai 1990 aufgegriffen. Dort wird in Kapitel 5.2 unter dem Titel „Schrägzurren in Querrichtung von quaderförmigen Ladeeinheiten“ als zweites Beispiel eine kippgefährdete Kiste ohne Zurrpunkte mit Hilfe von zwei Zurrmitteln gesichert, die nicht an der Kiste befestigt sind, sondern diese jeweils einmal umschlingen. Diese Umschlingungen enden auf beiden Seiten der Kiste als scheinbare Direktzurrungen unter einem Winkel α, sind aber unter Nutzung der Euler’schen Kantenreibung miteinander verbunden. Der gesamte Umschlingungswinkel beträgt 2×(α + π).


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Bild 9: Ladungssicherung durch Umschlingung (nach VDI 2702)

Ziel jener Darstellung war es zu zeigen, dass die benötigte Zurrkraft auf der einen Seite eine Restzurrkraft auf der entlasteten Seite voraussetzt. Diese Restzurrkraft steht zur benötigten Zurrkraft in dem bekannten Verhältnis des Euler’schen Reibungsverlusts. Die weitere Auswertung des Beispiels enthält allerdings einen kleinen Fehler in der Kippbilanz, der hier jedoch nicht erörtert werden soll.

Die Darstellung des Falles geht davon aus, dass zunächst durch Spannmittel auf beiden Seiten der Sicherungsanordnung eine bestimmte und gleiche Vorspannkraft eingestellt wird. Im angenommenen Lastfall erhöht sich diese Kraft auf der einen Seite und verringert sich auf der anderen, bis die Kräfte in dem genannten Verhältnis zueinander stehen. Die anfangs eingestellte Vorspannkraft muss so groß sein, dass die Rutsch- bzw. Kippbilanz erfüllt wird.

Nicht erwähnt wird, dass die unterstellte gegenläufige Änderung der Vorspannkraft der beiden Seiten eine kleine Bewegung der Ladungseinheit voraussetzt. Vermutlich wurde das stillschweigend vorausgesetzt, weil der dargestellte Fall als Sonderbeispiel für Direktsicherung gelten sollte. Dieser Einstufung kann man ohne weiteres folgen, wenn man die „Befestigung des Zurrmittels an der Ladung durch Reibschluss“ akzeptiert. Es ist darum auch leicht einzusehen, dass eine höhere Reibung des umschlingenden Zurrmittels an der Ladeeinheit die Sicherungswirkungen begünstigt.

Die bei Niederzurrungen übliche einseitig aufgebrachte Vorspannung hat im Zusammenhang mit der Anwendung des k-Faktors und dem auf Vertikalkräfte beschränkten Rechenmodell allerdings zu der stark betonten Doktrin geführt: „Mache die Reibung an den Kanten der Ladung so klein wie möglich“. Dieser Lehrsatz ist nicht falsch, kann aber bei einer weiterführenden Betrachtung relativiert werden, d.h. es kann Bedingungen geben, unter denen er nicht stimmt. Im folgenden Kapitel wird der „Reibschluss“ der Niederzurrung an der Ladung eine wesentliche Rolle spielen.


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1.4  Tatsächliche Sicherungswirkung einer Niederzurrung

In der folgenden Abhandlung wird die vollständige Sicherungswirkung einer Niederzurrung rechnerisch entsprechend der Auflistung in Kapitel 1.1 dargestellt, mit Ausnahme der sekundären Wirkungen von Kompaktierung und Vibrationshemmung. Es wird eine quer zum Fahrzeug verlaufende Niederzurrung aus einem Kunstfaserspanngurt mit einseitiger Spannratsche angenommen. Die Ladungsabmessungen passen zu den Zurrwinkeln und zur Fahrzeugbreite von rund 2,5 m.

Der Zweck dieser Darstellung ist es, unterschiedliche Rechenmodelle miteinander zu vergleichen und mögliche Vereinfachungen zu bewerten. Beim Vergleich von Rechenmodellen wird jeweils der gleiche Reibbeiwert zwischen Ladung und Ladefläche vorausgesetzt, um die Sicherungswirkung der Querkomponenten unverfälscht beurteilen zu können.

1.4.1  Vorspannkräfte in der Ausgangssituation

In den Berechnungen der folgenden Kapitel wird davon ausgegangen, dass die betrachtete Niederzurrung einseitig mit der Vorspannkraft STF vorgespannt worden ist. In Kapitel 1.3.4 wurde gezeigt, dass diese Vorspannkraft STF als Differenz der mit der Handkraft von 50 daN erzielbaren Maximalkraft Fmax und dem Kraftabfall ΔF zu sehen ist, während die Gegenseite mit der Vorspannkraft c2 × Fmax gespannt bleibt. Diese Vorspannkraft soll ebenfalls mit STF ausgedrückt werden. Der Faktor c2 steht für den Euler’schen Reibungsverlust.

(13)

Der Klammerausdruck rechts ist der Faktor, um welchen die auf die genormte Vorspannung STF bezogene Vorspannung der Gegenseite vergrößert wird, wenn STF als Vorspannung nach dem Loslassen der Spannratsche definiert wird, wie in Kapitel 1.3.4 ausführlich dargestellt wurde. Dieser im folgenden als „Ratschenfaktor“ oder fR bezeichnete Wert hängt unmittelbar vom Verhältnis ΔF/Fmax ab und ist immer größer als 1.

Hinweis: Der Faktor fR steht im Einklang mit der in Kapitel 1.3.4 gefundenen Berichtigung des k-Faktors. Es handelt sich nur um eine andere Herangehensweise an das gleiche Thema. Es gelten folgende Beziehungen:

und (14)

Der k-Faktor bzw. k‘-Faktor steht für die Vorspannung auf beiden Seiten. Die Behandlung der Querkomponenten der beiden Gurtabschnitte wird jedoch übersichtlicher, wenn sie getrennt betrachtet werden. Deshalb werden sie mit STF und STF × fR × c2 in die Berechungen eingebracht und nicht gemeinsam mit k‘ × STF.

In den Berechnungen der folgenden Kapitel wird weiter davon ausgegangen, dass die anfänglich unterschiedlichen Vorspannkräfte auf beiden Seiten sich durch kleine Querbeschleunigungen weitgehend ausgeglichen haben. Ein solcher Ausgleich erfolgt nicht durch vertikale Vibrationen des Fahrzeugs, wie allgemein leichthin und fälschlich angenommen wird, sondern durch Querbewegungen der Ladung, überwiegend in Form von Verschub. Diese Annahme einer symmetrischen Ausgangssituation erleichtert lediglich das Verständnis der Berechnungen. Sie ist sachlich nicht zwingende Voraussetzung. Unter dieser Annahme ist auf beiden Seiten folgende Vorspannung zu verzeichnen:

[daN] (15)

FT = Vorspannkraft nach Ausgleich [daN]

STF = genormte Vorspannkraft [daN]

Fmax = mit der normalen Handkraft erreichbare Vorspannung ohne Nachlassen [daN]

ΔF = Abfall der Vorspannkraft nach Einrasten der Sperrmechanik [daN]

c = Eulerfaktor (c = eμG×α)

α = vertikaler Zurrwinkel [rad]

μG = Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung

fR = Ratschenfaktor

Der Wert von fR hängt von zahlreichen Einflussgrößen ab (siehe Kapitel 1.3.4). Für eine allgemeine Bewertung einer Niederzurrung wird er so gewählt, dass er nur mit geringer Wahrscheinlichkeit in der Praxis unterschritten werden kann. Die in Kapitel 1.3.4 verwendete Strichprobe von 30 Spannratschen liefert bei einer Länge der Gurtabschnitts von 2,0 m die in Bild 10 dargestellten Werte von fR. Es wird im folgenden der Wert fR = 1,2 gewählt.


Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 10: Ratschenfaktoren einer zufälligen Stichprobe bei 2 m Gurtabschnittlänge


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1.4.2  Änderung der Zurrlängen und Zurrwinkel

Wirken starke äußere Kräfte auf eine gesicherte Ladung ein, so wird sie sich ein wenig in Richtung dieser Kräfte bewegen. Das kann Versatz (Rutschen) oder Verschub (plastische und/oder elastische Verformung) sein. Bei Verschub muss zwischen dem „klassischen“ Rahmenverschub und Plattenverschub unterschieden werden. Bei Versatz und bei Plattenverschub bleibt die Höhe der Ladung unverändert. Bei Rahmenverschub nimmt sie etwas ab. Eine weitere Form der Ladungsbewegung ist das Ankippen einer „kippgefährdeten“ Ladungseinheit, deren Eigenstandmoment kleiner ist als das von der äußeren Kraft erzeugte Kippmoment.

Zur möglichst vollständigen Erfassung der Sicherungswirkung einer Niederzurrung ist es wichtig, die aus solchen Bewegungen folgenden Längenänderungen und Winkeländerungen in den Gurtabschnitten zu berücksichtigen. Auch die Gesamtlängenänderung des Gurts ist von Bedeutung, da sich mit ihr das Gesamtniveau der Vorspannkräfte in der Niederzurrung ändert.

Für die Berechnung der Winkeländerungen reicht ein einfacher linearer Ansatz aus, da sie nur bei sehr großen Zurrwinkeln starken Einfluss auf die Sicherungswirkung nehmen und der lineare Ansatz gerade dort ausreichend genau ist. Bei den Längenänderungen ist es umgekehrt. Sie werden deshalb geometrisch exakt unter Anwendung des pythagoreischen Satzes berechnet. Das führt zu entsprechend umständlichen Formeln.

Bewegung quer zum Fahrzeug

Bei Bewegung der Ladung quer zum Fahrzeug verlagern sich die Kanten der Ladungseinheit um die kleinen Strecken ΔY und ΔZ. Die Strecke ΔY wird im Folgenden als Bezugs- und Eingangsgröße verwendet. Der Zurrwinkel α und die Strecke ΔY werden in den Formeln als Absolutgrößen behandelt.

Bei Versatz und bei Plattenverschub quer zum Fahrzeug ist ΔZ = 0 (Bild 11).

(16)
(17)

Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 11: Δα und ΔL bei Versatz oder Plattenverschub quer zum Fahrzeug

Bei Rahmenverschub quer zum Fahrzeug ist ΔZ ein kleiner negativer Wert (Bild 12).

(18)
(19)

Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 12: Δα und ΔL bei Rahmenverschub quer zum Fahrzeug

Beim Ankippen (Bild 13) ergibt sich links ein positiver Wert für ΔZ. Rechts gleicht die Bewegung der Ladungskante derjenigen beim Rahmenverschub.


(20)

(21)

(22)

Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 13: Δα und ΔL links beim Ankippen quer zum Fahrzeug

Bewegung längs zum Fahrzeug

Bei Bewegung der Ladung längs zum Fahrzeug verlagern sich die Kanten der Ladungseinheit um die kleinen Strecken ΔX und ΔZ. Da der Gurt quer zur Verlagerungsrichtung verläuft, wird er in Längsrichtung nur im Rahmen der verfügbaren Reibung mitgenommen. Die Strecke ΔX wird im Folgenden als Bezugs- und Eingangsgröße verwendet. Eine Längenänderung ΔL des Gurts ist stets positiv und auf beiden Seiten der Ladung gleich groß. Die Änderung des Zurrwinkels α ist so gering, dass sie zur Berechnung der Sicherungswirkung vernachlässigt werden kann.

Bei Versatz und bei Plattenverschub längs zum Fahrzeug (Bild 14) gilt auf beiden Seiten:

(23)

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Bild 14: ΔL bei Versatz oder Plattenverschub längs zum Fahrzeug

Bei Rahmenverschub längs zum Fahrzeug (Bild 15) ist Δz ein kleiner negativer Wert, wie in Gleichung (18) für den quer gerichteten Rahmenverschub beschrieben. Er führt geometrisch exakt dazu, dass sich die Gurtlänge nicht ändert. Es gilt auf beiden Seiten:

(24)

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Bild 15: ΔL bei Rahmenverschub längs zum Fahrzeug

Beim Ankippen (Bild 16) ergibt sich auf beiden Seiten ein positiver Wert für ΔZ. Es gelten auf beiden Seiten die Beziehungen:

(25)

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Bild 16: ΔL beim Ankippen längs zum Fahrzeug


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1.4.3 Elastizität von Spanngurten

Die Längenänderungen der Gurtabschnitte führen zu Änderungen der Vorspannkräfte. Das gilt sowohl für die Gurtabschnitte rechts und links als auch für das Gesamtniveau der Vorspannung. Diese Kraftänderungen werden zur Ermittlung der Sicherungswirkung in Rechnung gestellt. Wie schon in Kapitel 1.3.4 demonstriert, wird hierzu der Begriff der Federkonstante verwendet. Die Federkonstante D erlaubt es, aus einer Längenänderung ΔL eines elastischen länglichen Körpers direkt die Kraftänderung ΔF zu berechnen.

[daN] (26)

Zurrgurte aus synthetischen Fasern verhalten sich im Lastbereich bis LC ausreichend elastisch, wobei vereinfachend Linearität angenommen werden kann. Dem in Bild 10 geprüften Gurt wurde eine elastische Dehnung von p = 3,75% bei Erreichen von LC = 2500 daN bescheinigt. Aus einer derartigen Angabe lässt sich zunächst die „nominelle“ Federkonstante DN ermitteln, die für die Einheitslänge von z.B. 1 Meter festgelegt werden kann.

[daN] (27)

Für eine beliebige Gurtlänge L erhält man die individuelle Federkonstante.

[daN/m] (28)

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Bild 17: Last/Dehnungs-Diagramm eines 50 mm Polyestergurts (Quelle: Dolezych)

Die Last/Dehnungs-Kurve verläuft im unteren Lastbereich etwas flacher. Deshalb wird in den Berechnungen der folgenden Kapitel pauschal die prozentuale Dehnung p = 4% verwendet(5).

Kraftänderung: [daN] (29)

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1.4.4 Sicherungskraft quer zum Fahrzeug

Zunächst wird mit Hilfe der in Kapitel 1.4.2 festgestellten Längenänderungen ΔLlinks und ΔLrechts festgestellt, welche Gesamtlängenänderung der Gurt durch die vorliegende Bewegungsform erfährt. Bei Versatz und bei Plattenverschub ist diese Änderung positiv mit einem Maximum bei 90°Zurrwinkel. Daraus folgt ein Anstieg der nach Gleichung (15) berechneten Vorspannkraft FT. Bei Rahmenverschub ist die Gesamtlängenänderung schwach negativ und erreicht bei 90° Zurrwinkel den Wert Null. Die Vorspannkraft FT nimmt entsprechend ab. Diese Kraftänderung wird vereinfachend mit der Gesamtlänge des Gurts berechnet. FT1 ist die berichtigte Vorspannkraft.

Dann wird die mögliche Kraftzunahme links bzw. Kraftabnahme rechts in den freien Gurtabschnitten mit Hilfe der Längenänderungen ΔLlinks und ΔLrechts berechnet.

Bis zu Zurrwinkeln von etwa 85° sind diese Kraftänderungen in der Regel so groß, dass der Gurt über die Ladung rutscht. Es ergibt sich damit eine Obergrenze für die Kraftänderung ΔF, die durch die Euler’sche Reibung zwischen Gurt und Ladungseinheit gegeben ist. Diese Obergrenze wird nachstehend mit folgender Grenzsituation berechnet.

Die vollständige Sicherungswirkung setzt sich aus SW1 = Reibungserhöhung durch die Vertikalkomponenten der Kräfte in den Gurtanteilen links und rechts und aus SW2 = Differenz der Horizontalkomponenten dieser Kräfte zusammen.

Es versteht sich, dass in die Gleichungen (33) und (34) und dann auch (35) für ΔF der Maximalwert nach Gleichung (32) eingesetzt werden muss.


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Bild 17a: Sicherungswirkung durch Kräfte quer zum Fahrzeug

Da Δα ein kleiner Winkel ist, kann mit ausreichender Genauigkeit gesetzt werden: cosΔα = 1 und sinΔα = Δα. Damit vereinfacht sich die Gleichung für die Gesamtsicherungswirkung.

Für einen Zurrwinkel α = 90° vereinfacht sich die Gleichung mit sinα = 1 und ΔF = 0 weiter.

SW = Gesamt-Sicherungswirkung [daN]

μL = Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung

FT1 = ausgeglichene, korrigierte Vorspannung [daN] nach Gleichung (30)

ΔF = Änderung der Vorspannung [daN] nach Gleichung (31), Begrenzung durch Gl. (32)

α = anfänglicher Zurrwinkel [°]

Δα = Zurrwinkeländerung [rad] nach Gleichung (17)

Zur Veranschaulichung wird ein Beispiel berechnet mit der Annahme von Versatz oder Plattenverschub. Höhe und Breite der Ladung sind auf die Fahrzeugbreite von 2,5 m abgestimmt. Die Eingangsgrößen sind:

Höhe der Ladungseinheit: H = 1,778 m
Breite der Ladungseinheit: B = 1,873 m
Zurrwinkel: α = 80° = 1,3963 rad
Querweg der Ladungsoberseite: ΔY = 0,1 m
Normale Vorspannung: STF = 400 daN
Nominelle Federkonstante: DN = 62500 daN
Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung: μG = 0,20
Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung: μL = 0,40
Ratschenfaktor: fR = 1,2

Zum Vergleich wird die Sicherungswirkung nach VDI 2702 wie in Gleichung (1) berechnet:

Das mögliche mittlere ΔF von rund 600 daN bei einer Querbewegung von ΔY = 0,1 m ist fast sechsmal so groß wie der Grenzwert von 108,5 daN, mit dem tatsächlich gerechnet wurde. Der Grenzwert wird demnach bei dem gegebenen Zurrwinkel von 80° schon bei einer Querbewegung von weniger als 2 cm erreicht.

Die Sicherungswirkung ändert sich mit dem Zurrwinkel. Wegen der auf rund 2,5 m begrenzten Breite der Ladeflächen von Nutzfahrzeugen treten kleine Zurrwinkel nur bei niedrigen Ladungen auf. Für die folgende Darstellung der Sicherungswirkungen über den Zurrwinkelbereich von 45° bis 90° sind folgende plausible Ladungsabmessungen gewählt worden:

Zurrwinkel α

45°

60°

75°

90°

Ladungshöhe H

1,000 m

1,333 m

1,666 m

2,000 m

Ladungsbreite B

0,500 m

0,960 m

1,607 m

2,500 m

Bild 18 zeigt den Verlauf der Sicherungswirkungen im Vergleich zu denen der vereinfachten Rechenmodelle der VDI 2702, DIN EN 12195-1:2004 und DIN EN 12195-1:2011. Für alle fünf Kurven gelten die Voraussetzungen wie im zuvor gerechneten Beispiel für α = 80°.

Die tatsächliche Sicherungswirkung hat ihr Maximum bei einem Zurrwinkel von etwa 65° bis 70°. Erst bei etwa α = 88° werden die bewegungsbedingten Längenänderungen der Gurtabschnitte so klein, dass sich das günstige Euler’sche Kräfteverhältnis nicht mehr maximal einstellen kann. Statt dessen beginnt ab etwa α = 87° auch die Querkomponente rechts sichernd zu wirken. Diese Umstellungen im Wirkmechanismus bewirken einen kleinen Knick in der Kurve an dieser Stelle.

Der Vergleich der Rechenmodelle zeigt, dass die tatsächliche Sicherungswirkung in einem weiten Bereich sogar größer ist, als sie durch das frühere Modell in der Richtlinie VDI 2702 ausgewiesen wurde. Die mit Einführung des k-Faktors in der DIN EN 12195-1:2004 bewirkte Verringerung ist erheblich. Die Begründung mit der „notwendigen Berücksichtigung physika­lischer Fakten“ ist untauglich, weil diese Fakten einseitig ausgelegt worden sind.


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Bild 18: Sicherungswirkung Kräfte quer, Vergleich von Rechenmodellen


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1.4.5 Sicherungskraft längs zum Fahrzeug

Auch hier wird zunächst mit Hilfe der in Kapitel 1.4.2 festgestellten beidseitigen Längenänderung ΔL festgestellt, welche Gesamtlängenänderung der Gurt durch die vorliegende Bewegungsform erfährt. Bei Versatz und bei Plattenverschub ist diese Änderung positiv. Daraus folgt ein Anstieg der nach Gleichung (15) berechneten Vorspannkraft FT. Diese Kraftänderung wird vereinfachend mit der Gesamtlänge des Gurts berechnet. FT1 ist die berichtigte Vorspannkraft.

Bei Rahmenverschub ist die Gesamtlängenänderung gleich Null. Die Vorspannkraft bleibt unverändert mit FT1 = FT. Jedoch gibt es bei Rahmenschub eine vertikale Bewegung ΔZ.


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Bild 19: Sicherungswirkung durch Kräfte längs zum Fahrzeug

Die Gesamtsicherungswirkung setzt sich zusammen aus den beidseitigen Vertikalkomponenten FZ, die mit dem Reibbeiwert μL multipliziert werden, und den beidseitigen Längskomponenten FX.

Für die Längskomponente ΔX gibt es eine Obergrenze, die durch die Reibung zwischen Gurt und Ladung bestimmt wird. Der umgelenkte Gurt übt eine Kraft FK auf die Ladungskante aus, die eine Resultierende aus der Vorspannung der beiden angrenzenden Gurtabschnitte ist. Wegen der ungleichen Lastverteilung beidseitig der Kanten wird hier konservativ mit FT statt mit FT1 gerechnet.

Die Obergrenze der Längskomponente hängt vom Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung ab.

Mit diesen Vorgaben wird die Sicherungswirkung der Niederzurrung in Längsrichtung berechnet.

Es wird ein Beispiel mit Versatz oder Plattenverschub berechnet. Die Eingangsgrößen sind:

Höhe der Ladungseinheit: H = 1,778 m
Breite der Ladungseinheit: B = 1,873 m
Zurrwinkel: α = 80° = 1,3963 rad
Längsweg der Ladungsoberseite: ΔX = 0,12 m
Normale Vorspannung: STF = 400 daN
Nominelle Federkonstante: DN = 62500 daN
Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung: μG = 0,20
Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung: μL = 0,40
Ratschenfaktor: fR = 1,2

Auch hier liefert die Sicherungswirkung nach VDI 2702 einen deutlich geringeren Wert.

Bei Rahmenverschub ist die tatsächliche Sicherungswirkung erwartungsgemäß geringer, weil keine Verlängerung des Gurts stattfindet.

Die Sicherungswirkungen ändern sich mit dem Zurrwinkel. Bild 20 zeigt für die gleichen plausiblen Verhältnisse von α, H und B wie in Kapitel 1.4.4 den Verlauf der Sicherungswirkungen im Vergleich zu denen der vereinfachten Rechenmodelle der VDI 2702, DIN EN 12195-1:2004 und DIN EN 12195-1:2011. Für alle fünf Kurven gelten die Voraussetzungen wie im zuvor gerechneten Beispiel für α = 80°.

Der Vergleich der Rechenmodelle zeigt, dass auch in Längsrichtung die tatsächliche Sicherungswirkung deutlich größer ist, als sie durch die vereinfachten Rechenmodelle dargestellt wird. Um eine zur Sicherungswirkung in Querrichtung vergleichbare Größenordnung zu erhalten, wurde die Ladungsbewegung ΔX in Längsrichtung von 0,10 m auf 0,12 m gesetzt.

Die unterschiedlichen Sicherungswirkungen der DIN EN 12195-1:2011 nach vorn und nach hinten erscheinen befremdlich, da sie sich physikalisch nicht begründen lassen. Tatsächlich soll im zuständigen Gremium bei dieser Festlegung die Kompensation unterschiedlicher Lastannahmen im europäischen Raum für Längskräfte nach vorn angestrebt worden sein.


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Bild 20: Sicherungswirkung Kräfte längs, Vergleich von Rechenmodellen


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1.4.6 Sicherungsmoment quer zum Fahrzeug

Die Prüfung einer Niederzurrung auf ihre Tauglichkeit zur Kippsicherung ist nur bei Ladungseinheiten erforderlich, deren Eigenstandfestigkeit hierzu allein nicht ausreicht. Das sind vereinfacht ausgedrückt Einheiten, deren Standbreite B kleiner ist als 60% ihrer Höhe H. Diese Bedingung, zusammen mit der Breite der Ladefläche von rund 2,5 m und der maximalen Ladungshöhe von rund 3 m, schränkt die plausiblen Zurrwinkel auf einen Bereich von etwa 45° bis höchstens 83° ein. Für die Darstellung der Kippsicherungswirkungen über diesen Bereich werden folgende plausible Ladungsabmessungen auf der Basis B = 0,48 × H gewählt:

Zurrwinkel α

45°

60°

70°

80°

Ladungshöhe H

1,008 m

1,529 m

2,070 m

3,002 m

Ladungsbreite B

0,484 m

0,734 m

0,993 m

1,441 m

Die anfängliche Vorspannkraft FT Gleichung (15) wird durch die Bewegung der Ladung infolge der äußeren Beanspruchung verändert. Zu den unter Kapitel 1.4.4 untersuchten Bewegungsformen des Versatzes bzw. Plattenverschubs und des Rahmenverschubs kommt hier noch die Möglichkeit des Ankippens hinzu. Mit den entsprechenden Längenänderungen des Gurts links und rechts erhält man mit den Gleichungen (30), (31) und (32) die notwendigen Berechnungsgrößen.


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Bild 21: Sicherungswirkung durch Momente quer zum Fahrzeug

Die Berücksichtigung einer Ladungsbewegung bei der Formulierung der Sicherungsmomente verlangt, dass der Hebel B der linken Vertikalkomponente um ΔY verkleinert wird, und dass außerdem die rechte Vertikalkomponente mit dem Hebel ΔY kippend wirkt (Bild 21). Das sind kleine Abzüge in der Sicherungswirkung gegenüber den vereinfachten Rechenmodellen in den Richtlinien und Normen. Es zeigt sich allerdings in den folgenden Berechnungen, dass diese Abzüge bei der Kippsicherung in Querrichtung verschwindend klein bleiben, weil nur kleine Beträge von ΔY erforderlich sind, um die erwünschten Querkomponenten der Vorspannkräfte aufzubauen.

Die vollständige Sicherungswirkung gegen Kippen setzt sich aus SW1 = Moment aus den Vertikalkomponenten der Kräfte in den Gurtanteilen links und rechts und aus SW2 = Moment aus der Differenz der Horizontalkomponenten dieser Kräfte zusammen.

SW = Gesamt-Sicherungswirkung [daN×m]

B = Standbreite der Ladungseinheit [m]

H = Höhe der Ladungseinheit [m]

FT1 = ausgeglichene, korrigierte Vorspannung [daN] nach Gleichung (30)

ΔF = Änderung der Vorspannung [daN] nach Gleichung (31), Begrenzung durch Gl. (32)

ΔY = Querbewegung der Ladungsoberfläche [m]

α = anfänglicher Zurrwinkel [°]

Δα = Zurrwinkeländerung [rad] nach Gleichung (17)

In diesen Herleitungen sind wie bisher vereinfachend der Betrag von Δα links und rechts gleich gesetzt sowie die Vereinfachungen cosΔα = 1 und sinΔα = Δα vorgenommen worden. Der Subtrahend in SW1 „(FT1-ΔF) × sin(α + Δα)× ΔY“ entfällt, wenn die Ladungseinheit ausschließlich rutscht, weil sich dann die Kippkante an der Ladungsunterseite ebenfalls seitwärts verlagert. Das ist aber wenig wahrscheinlich, da es sich per Definition hier um eine kippgefährdete Ladungseinheit handelt, die eher ankippen als rutschen dürfte.

Es wird ein Beispiel mit Ankippen von 0,5° als Reaktionsbewegung berechnet. Die Eingangsgrößen sind:

Höhe der Ladungseinheit: H = 3,002 m
Breite der Ladungseinheit: B = B = 1,441
Zurrwinkel: α = 80° = 1,3963 rad
Querweg der Ladungsoberseite: ΔY = 0,0262 m
Normale Vorspannung: STF = 400 daN
Nominelle Federkonstante: DN = 62500 daN
Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung: μG = 0,20
Ratschenfaktor: fR = 1,2

Zum Vergleich wird die Sicherungswirkung nach VDI 2702 berechnet:

Der Vergleich zeigt, dass die tatsächliche Sicherungswirkung nach einem geringfügigen Ankippen der Ladungseinheit erheblich größer ist als die Sicherungswirkung nach der inzwischen als überholt geltenden Empfehlung der Richtlinie VDI 2702 von 2000. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es bei einer Auslegung der Sicherung nach dieser Richtlinie wahrscheinlich überhaupt nicht zu einem Ankippen kommen wird, weil die übrigen Ladungsbewegungen wie Rutschen, Plattenverschub oder Rahmenverschub allein ausreichend sind, um die benötigte Sicherungswirkung zu erzielen. Dieses wahrscheinliche Verhalten wird nachstehend unter folgenden konservativen Annahmen überprüft:

  • Die Querbewegungsdistanz ΔY wird gerade so groß gewählt, dass über den gewählten Bereich der möglichen Zurrwinkel von 45° bis 80° genau die Längenänderung ΔL erreicht wird, die zum Erzielen der auf Grund der Euler’schen Reibung maximal möglichen Kraftdifferenz ΔF notwendig ist.
  • Die vertikale Bewegungsdistanz ΔZ wird durch die erstgenannte Annahme so klein, dass der Gurt insgesamt praktisch keine Längenänderung erfährt, d.h. es wird FT1 = FT gesetzt.

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Bild 22: Sicherungswirkung Momente quer, Vergleich von Rechenmodellen

Die Kurven in Bild 22 zeigen, dass trotz der getroffenen konservativen Annahmen die tatsächliche Sicherungswirkung alle bestehenden Rechenmodelle reichlich übertrifft. Das Modell der DIN EN 12195-1:2004 fällt hier besonders aus dem Rahmen. Bei Zurrwinkeln unter 64° und dem hier zugrunde liegenden Verhältnis B : H = 0,48 ergeben sich negative Sicherungswirkungen, d.h. das Anbringen von Gurten vergrößert rechnerisch die Kippgefahr. Das Rechenmodell ist absolut untauglich.

Die zum Erreichen der in Bild 22 gezeigten tatsächlichen Sicherungswirkung notwendige Querbewegung ΔY beträgt knapp 2 mm bei α = 45° und wächst an auf knapp 26 mm bei α = 80°. Diese Werte sind deutlich geringer als die bei einer Direktsicherung notwendigen Bewegungen zum Erreichen der üblicherweise bilanzierten Belastung LC des Ladungssicherungsmittels. Ein Ankippen ist demnach nicht erforderlich. Selbst eine absolut starre Ladungseinheit, die keine eigene Verformung zulässt, kann durch geringfügiges Rutschen und/oder Verformung der Ladefläche die notwendige Querbewegung ΔY ohne anzukippen herbeiführen.


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1.4.7 Sicherungsmoment längs zum Fahrzeug

Eine quer zum Fahrzeug verlaufende Niederzurrung kann gegen Kippen in Längsrichtung wie eine Direktsicherung wirken. Direktsicherungen werden traditionell so bewertet, dass sie mit ihrer zulässigen Belastbarkeit LC in eine Bilanz eingesetzt werden. Dieser Ansatz setzt jedoch voraus, dass sich das Sicherungsmittel so weit elastisch dehnen kann, dass die Sicherungskraft von der anfänglichen Vorspannkraft FT auf die zulässige Belastung LC zunimmt.

Die hierzu notwendige Dehnung kann bei einer Niederzurrung im reichlichen Zentimeterbereich liegen und im vorliegenden Fall einer Kippsicherung nur durch Ankippen geliefert werden. Versatz und/oder Verschub reichen hierzu kaum aus. Ein derart ausgeprägtes Ankippen birgt jedoch Risiken durch dynamische Effekte. Die mögliche Größenordnung eines derartigen Ankippens wird im folgenden Beispiel rechnerisch abgeschätzt.

Ankippen mit Sicherungskraft = LC

Eine in sich homogene Ladungseinheit mit Gewicht G = 3200 daN, Breite B = 1,873 m, Höhe H = 1,778 m steht quer auf dem Fahrzeug und wird durch eine quer geführte Niederzurrung gesichert. Die Niederzurrung ist auf halber Länge der Ladungseinheit angebracht. Der Abstand zur Kippachse vorn und hinten beträgt jeweils J = 0.444 m. Der Zurrwinkel beträgt beidseitig α = 80°. Die Längen der freien Gurtabschnitte betragen beidseitig L = 1,805 m.


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Bild 23: Sicherungswirkung durch Momente längs zum Fahrzeug

Die kippsichernden Vertikalkomponenten der Niederzurrung greifen am Hebel J zur Kippachse an. Die Momentenbilanz für Kippen nach vorn in Anlehnung an VDI 2702 lautet:

Interpretiert man diese für das Momentengleichgewicht in beiden Gurtabschnitten mindestens notwendige Kraft F als zulässige Zurrkraft LC, so würde eine Niederzurrung mit einem Gurt von LC = 1000 daN im Einzelstrang ausreichen. Die nominelle Federkonstante DN für diesen Gurt ist bei einer angenommenen elastischen Dehnung von 4% bei Erreichen von LC:

Nimmt man ferner an, dass der Gurt auf beiden Seiten im Mittel mit 330 daN vorgespannt wurde, so ist auf jeder Seite eine Kraftzunahme von ΔF1 = 648 daN erforderlich. Im horizontalen Mittelteil beträgt diese Zunahme wegen der Reibung an den Ladungskanten nur etwa ΔF2 = 490 daN. Daraus kann die notwendige Längenänderung des Gurts ermittelt werden.

Diese Längenänderung verteilt sich mit 0,065 m auf jede Seite und ergibt ein Anheben der Ladung unter der Niederzurrung von 6.6 cm bzw. ein Ankippen um etwa 8,5°. Durch Änderungen der Kippgeometrie und durch das Rotationsträgheitsmoment der ankippenden Ladung bei einer Vollbremsung kann sich dieser Wert noch beträchtlich vergrößern, so dass die Interpretation der notwendigen Kraft als zulässige Zurrkraft LC nicht ratsam erscheint.

Vermutlich aus diesem Grunde enthalten die Richtlinien VDI 2702 vom Mai 1990 und VDI 2700 Blatt 2 vom November 2002 ein Rechenmodell für diese Situation, in dem als Sicherungskraft eine Vorspannkraft unterstellt wird, die auf 50% der zulässigen Zurrkraft LC begrenzt sein soll. Auch die Norm DIN EN 12195-1:2011 sieht als Sicherungskraft die Vorspannkraft STF (oder einen gemessenen Wert) vor und bringt noch einen Sicherheitsfaktor in die Rechnung ein. Dieser Faktor beträgt 1,25 bei Belastung in Fahrtrichtung und 1,1 bei Belastung gegen die Fahrtrichtung. Die zwischenzeitliche Norm DIN EN 12195-1:2004 enthält für diese Problemstellung keinen Vorschlag.

In den angeführten Rechenmodellen wird keine Reaktionsbewegung der Ladung unterstellt. Sie gehen rechnerisch auch nicht auf Reibungsverlust bei einseitigem Spannmittel ein. Da dies nicht den wirklichen Verhältnissen entspricht, wird die tatsächliche Sicherungswirkung der Niederzurrung den vereinfachten Rechenmodellen gegenübergestellt.

Sicherungswirkung mit Vorspannkraft

Unterstellt wird eine Ladungsbewegung in der gleichen Größenordnung, wie sie zur Darstellung der Sicherungskräfte in Längsrichtung verwendet wurde. Als Bewegungsform wird entweder Rahmenverschub oder Ankippen angenommen. Rutschen ist bei der drohenden Kippgefahr weniger wahrscheinlich und Plattenverschub entfällt aus praktischen Gründen.

Bei Rahmenverschub gibt es keine Längenänderung des Gurts und damit keine Zunahme der Vorspannkraft (Kapitel 1.4.2). Es bleibt bei der nach Gleichung (15) ermittelten Kraft FT.

Neben der Bewegung in Längsrichtung ΔX tritt auch eine kleine vertikale Bewegung der Ladungsoberfläche ΔZ nach Gleichung (24) auf. Der Wert von ΔZ ist hier negativ.

Die Gesamtsicherungswirkung setzt sich zusammen aus den beidseitigen Vertikalkomponenten FZ, die mit dem Hebel (J – ΔX) bis zur Kippachse multipliziert werden, und den beidseitigen Längskompo­nenten FX, die mit dem Hebel (H + ΔZ) multipliziert werden.

Vertikalkomponente:
Längskomponente:

Für die Obergrenze der Längskomponente gilt nach Gleichung (41):

Die Sicherungswirkung der Niederzurrung gegen Kippen in Längsrichtung wird berechnet.

SW = Gesamt-Sicherungswirkung [daN×m]

J = Hebel der Vertikalkomponenten der Niederzurrung zur Kippachse [m]

FT = ausgeglichene Vorspannung nach Gleichung (15) [daN]

FZ = Vertikalkomponente von FT [daN]

FX = Horizontalkomponente von FT [daN]

H = Höhe der Ladungseinheit [m]

L = Länge des freien Gurtabschnitts [m]

ΔX = Längsbewegung der Ladungsoberfläche [m]

ΔZ = Vertikalbewegung der Ladungsoberfläche [m]

μG = Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung

α = Zurrwinkel [°]

Es wird hierzu ein Beispiel berechnet. Die Eingangsgrößen sind:

Höhe der Ladungseinheit: H = 1,778 m
Breite der Ladungseinheit: B = 1,873 m
Abstand des Gurts zur Kippachse: J = 0,444 m
Zurrwinkel: α = 80° = 1,3963 rad
Längsweg der Ladungsoberseite: ΔX = 0,1 m
Normale Vorspannung: STF = 400 daN
Nominelle Federkonstante: DN = 62500 daN
Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung: μG = 0,20
Ratschenfaktor: fR = 1,2

Zum Vergleich wird die Sicherungswirkung nach DIN EN 12195-1:2011 berechnet:

Es zeigt sich, dass für die getroffene Annahme von Rahmenverschub die tatsächliche Sicherungswirkung kleiner ist als die nach dem Rechenmodell der DIN EN 12195-1:2011 für Belastung nach hinten, aber größer als die für Belastung nach vorn. Diese Merkwürdigkeit ist schon am Ende von Kapitel 1.4.5 kommentiert worden.

Wenn die tatsächliche Sicherungswirkung einer nach obigem Rechenmodell für Belastung nach hinten (also schwächer) dimensionierten Niederzurrung der Belastung nicht standhält, wird die Ladungseinheit zwangsläufig ankippen, sobald ihre zunehmende innere Steifigkeit weiteren Verschub verhindert. Das kann durchaus schon bei einem ΔX < 0,1 m eintreten.

Das gleiche Beispiel wird mit Ankippen von ϒ = 0,5° als Reaktionsbewegung gerechnet.

Dieses Ergebnis übertrifft beide Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2011, so dass ein geringeres Ankippen als 0,5° unter den gegebenen Randbedingungen zu erwarten ist. 

Die berechneten Sicherungswirkungen ändern sich mit dem Zurrwinkel. Die Ergebnisse in Bild 24 zeigen, dass die Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2011 ausreichend sind. Bei Kippsicherung nach hinten muss bei knapper Auslegung der Sicherung allerdings mit einem geringfügigen Ankippen < 0.5° gerechnet werden.


Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten

Bild 24: Sicherungswirkung Momente längs, Vergleich von Rechenmodellen


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1.4.8 Einfluss des Reibbeiwerts zwischen Zurrmittel und Ladung

Die verwendeten Rechenmodelle zur Darstellung der tatsächlichen Sicherungswirkung einer Niederzurrung sind in hohem Maße von der Vorspannkraft FT abhängig. Diese Vorspannkraft basiert auf der genormten Vorspannkraft STF des verwendeten Gurts und dem Übertragungsbeiwert k, der in den vorstehenden Berechnungen in der Form (1 + c2) verwendet wurde. Ein großer Wert von c2 setzt einen niedrigen Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung voraus.

Andererseits profitiert die Sicherungswirkung einer Niederzurrung bei Beanspruchung quer zum Fahrzeug vor allem bei kleinen Zurrwinkeln stark von der Differenz der Querkomponenten der Vorspannkräfte auf beiden Seiten. Diese Differenz wird größer mit einem großen Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung. Das gilt sowohl für die sichernden Kräfte als auch für die sichernden Momente. Bei Beanspruchung in Längsrichtung dominiert der erstgenannte Einfluss eines niedrigen Reibbeiwerts zwischen Gurt und Ladung.

Diese etwas unübersichtlichen Verhältnisse werden nachstehend in Diagrammen verdeutlicht.


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Bild 25: Sicherungswirkung Kräfte quer, Einfluss des Reibbeiwerts Gurt / Ladung

Bild 25 zeigt beispielhaft, dass ein möglichst niedriger Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung angestrebt werden sollte, um die Sicherungswirkung in Form von Querkräften zu maximieren. Das gilt vor allem bei großen Zurrwinkeln. Bei kleinen Zurrwinkeln unter 70° wird dieser Einfluss zunehmend bedeutungslos und kehrt sich bei Zurrwinkeln unter 60° sogar geringfügig um. Da jedoch kleine Zurrwinkel nur bei niedrigen und schmalen Ladungseinheiten technisch möglich sind, liegt mit solchen Winkeln eine Sicherungssituation vor, bei der Direktsicherung möglicherweise die günstigere Option darstellt.

Grundsätzlich also sollte der Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung bei den in der Praxis üblichen großen Zurrwinkeln durch Verwendung von geeigneten Kantenwinkeln oder Kantenblechen möglichst klein gehalten werden. In besonderen Fällen mit kleinen Zurrwinkeln kann es jedoch günstiger sein, an den Kanten rutschhemmendes Material unterzulegen.


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Bild 26: Sicherungswirkung Momente quer, Einfluss des Reibbeiwerts Gurt / Ladung

Bild 26 zeigt den gegenläufigen Einfluss des Reibbeiwerts zwischen Gurt und Ladung, wenn die Niederzurrung als Kippsicherung dienen soll. Ein großer Reibbeiwert begünstigt die mit dem größeren Hebel H wirkenden Querkomponenten so sehr, dass das insgesamt niedrigere Niveau der Vorspannkräfte überspielt wird. Dieser Effekt tritt umso ausgeprägter auf, je kleiner das Verhältnis B : H ist, d.h. je kippgefährdeter die Ladungseinheit ist. In solchen Fällen sollte rutschhemmendes Material unter die Zurrgurte gelegt werden. Dieser Hinweis soll nicht davon ablenken, dass die beabsichtigte Kippsicherung möglicherweise günstiger mit einer Direktsicherungsanordnung zu erreichen ist.

Die Bilder 27 und 28 zeigen, dass die Sicherungswirkungen in Form von Kräften wie auch Momenten in Längsrichtung des Fahrzeugs von einem kleinen Reibbeiwert zwischen Gurt und Ladung durchweg profitieren. Das bestärkt die grundsätzliche Empfehlung zur Verwendung von reibungsarmen Kantenwinkeln oder –blechen. Da im Falle der Sicherung gegen Kräfte in Längsrichtung auch Längskomponenten der Zurrkräfte an den Ladungskanten übertragen werden sollen, ist es ratsam, an den Kantenwinkeln oder –blechen geeignete Falze oder Vorsprünge vorzusehen, die ein Rutschen des Gurts in Längsrichtung verhindern. Bei schmalen Kantenwinkeln ist dies regelmäßig vorhanden, allein um ein seitliches Abrutschen des Gurts zu verhindern.


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Bild 27: Sicherungswirkung Kräfte längs, Einfluss des Reibbeiwerts Gurt / Ladung


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Bild 28: Sicherungswirkung Momente längs, Einfluss des Reibbeiwerts Gurt / Ladung


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1.5 Praktische Umsetzung

Die in Kapitel 1.4 angestellten Überlegungen und Rechenwege zur Darstellung der tatsächlichen Sicherungswirkung einer Niederzurrung in den vier Anforderungen „Verhüten von Rutschen der Ladung quer und längs“ sowie „Verhüten von Kippen der Ladung quer und längs“ eignen sich schwerlich für den praktischen Gebrauch. Man könnte sie mit einem Rechenprogramm für die einmalige Ausarbeitung von standardisierten Sicherungskonzepten einsetzen. Aber selbst dann wären zusätzliche praktische Versuche ratsam, um bestehende Spielräume des spezifischen Ladungsverhaltens und weitere getroffene Annahmen, wie z.B. das elastische Dehnungs- und Hystereseverhalten von Zurrgurten zu kalibrieren.

Für den täglichen Gebrauch der richtigen Bemessung einer Ladungssicherungsanordnung wie auch für polizeiliche Kontrollen ist es wichtig, vereinfachte und anerkannte Rechen­modelle zu haben, die in Form von Rechenregeln oder Tabellen mit möglichst wenigen Parametern die Auskunft über die notwendige Anzahl der Niederzurrungen liefern. Denn auf diese Frage läuft es für den Fahrer letzten Endes hinaus: “ Wie viele Gurte muss ich über die Ladung spannen, bevor ich losfahren darf?“

1.5.1 Vereinfachte Bewertungsmodelle

Kapitel 1.4 hat gezeigt, dass die bestehenden und immer noch diskutierten Rechenmodelle der deutschen Richtlinie VDI 2700 Blatt 2 und der beiden Fassungen der DIN EN 12195-1 von 2004 und von 2011 sich bei Annahme gleicher Einflussgrößen teilweise beträchtlich voneinander unterscheiden und außerdem in ihren Ergebnissen weitgehend zur sicheren Seite hin von denen der genaueren Ermittlung der Sicherungswirkungen abweichen. Es können folgende Aussagen gemacht werden:

  • Die Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2011 sind sämtlich ausreichend. Die beiden unterschiedlichen Sicherheitsfaktoren bei Belastung in Längsrichtung des Fahrzeugs nach vorn bzw. hinten sind allerdings nicht physikalisch mit den Wirkmechanismen begründbar.
  • Die Rechenmodelle der VDI 2700 Blatt 2 unterscheiden sich von denen der DIN EN 12195-1:2011 im wesentlichen nur durch das Fehlen des Sicherheitsfaktors. Sie liefern deshalb Ergebnisse mit geringfügig kleinerer Sicherheitsmarge.
  • Die Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2004 für sichernde Quer- und Längskräfte weichen mit 17,5% erheblich von denen der DIN EN 12195-1:2011 ab. Für Kippbeanspruchung in Querrichtung liegen die Abweichungen aus den bekannten Gründen bei mehreren 100%. Das Zustandekommen dieser Abweichungen ist in den Kapiteln 1.3.2 und 1.3.3 bereits erörtert worden.

Somit könnte man sich auf die Rechenmodelle der DIN EN 12195-1:2011 einigen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Modelle nicht noch verbesserungsfähig sind.

Die Kurven in den Bildern 18 und 20 zeigen, dass die tatsächliche Sicherungswirkung bei abnehmenden Zurrwinkeln zunächst noch zunimmt, während die gebräuchlichen Rechenmodelle den abnehmenden Verlauf einer Sinus-Kurve zeigen. Es ist also naheliegend, den Faktor „sinα“ in diesen Modellen für Zurrwinkel zwischen 45° und 90° schlicht zu streichen. Das trifft auch auf die Kurven in den Bildern 22 und 24 zu, obwohl dort der Einfluss der mit abnehmendem Zurrwinkel ebenfalls abnehmenden Ladungsbreite B bzw. Hebel J die Zusammenhänge etwas verschleiert. Es können also folgende Rechenmodelle für Zurrwinkel zwischen 45° und 90° formuliert werden:

Rutschen quer und längs: (Bild 29) (48)
Kippen quer: (Bild 30 oben) (49)
Kippen längs: (Bild 30 unten) (50)

Bei Zurrwinkeln kleiner als 45° ist Niederzurrung zunehmend unwirksam und muss durch andere Sicherungsmethoden ersetzt werden.


Ladungssicherung im Straßenverkehr – die Fakten
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Bild 29: Alternatives Modell der Sicherungswirkung (blau)


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Bild 30: Alternative Modelle der Sicherungswirkung (blau)

Die blauen Kurven in den Bildern 29 und 30 stellen die Sicherungswirkungen nach den vorgeschlagenen vereinfachten Modellen gemäß Gleichungen (48) bis (50) dar. Die grünen Kurven zeigen die tatsächlichen Sicherungswirkungen aus den Bildern 18, 20, 22 und 24. Wichtig erscheint an dieser Stelle der Hinweis, dass die vorgeschlagene Vereinfachung der Rechenmodelle völlig unabhängig von der noch ausstehenden Frage ist, welcher Reibbeiwert in Gleichung (48) einzusetzen ist. Diese Frage muss gesondert behandelt werden.

Der in Kapitel 1.2 beschriebene kleine Makel der konventionellen Rechenmodelle, der darin besteht, dass die durch Reibung zwischen Gurt und Ladung entstehenden Horizontalkomponenten der Niederzurrung außer Acht gelassen werden und dadurch die ohnehin bestehende Dominanz des Reibbeiwerts μL bzw. des Standhebels b noch weiter verstärkt wird, ist dadurch jedoch noch nicht behoben. Dieser Schönheitsfehler ließe sich beheben, indem ein kleiner Festanteil der genormten Vorspannkraft STF zur Wirkung gebracht wird. Die Sicherungswirkung gegen Rutschen quer und längs könnte dann z.B. lauten:

Rutschen quer und längs: (51)

Es scheint jedoch, dass sich diese Kosmetik angesichts der damit verbundenen komplizierteren Formeln nicht lohnt.


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1.5.2 Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung

Die wirklich entscheidende Frage, welcher Reibbeiwert zwischen Ladefläche und Ladung in einem Rechenmodell für Niederzurrungen verwendet werden soll, ist aus den Überlegungen und Berechnungen in Kapitel 1.4 nicht zu beantworten. Es geht um die Wahl zwischen einem Wert in der Nähe des Haftreibbeiwerts, wie in der Norm DIN EN 12195-1:2011 vorgesehen, und dem Gleitreibbeiwert, wie in der Vorläufernorm DIN EN 12195-1:2004 und in der Richtlinie VDI 2700 Blatt 2 gefordert. Die Entscheidung darüber betrifft sowohl die tatsächliche Sicherungswirkung als auch die durch vereinfachte Modelle ermittelte Sicherungswirkung in nahezu gleichem Ausmaß.

Grundsätzlich sollte eine gewissenhafte Langzeitanalyse von Schäden und Unfällen zu einer volkswirtschaftlich tragfähigen Entscheidung in dieser Frage führen. Solange aber in der Mehrzahl der registrierten Vorfälle nicht einmal die Mindestanforderungen einer ausreichenden Niederzurrung erfüllt zu werden scheinen, ist es schwierig, aus den bisherigen Erfahrungen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Auswirkungen dieser Entscheidung sind gravierend wegen der in Kapitel 1.2 beschriebenen Nichtlinearität des Einflusses des Reibbeiwerts auf die Anzahl der zu spannenden Gurte (vergl. Bild 3). Die bestehenden konträren Argumente lauten:

  1. Alle Fahrversuche zeigen, dass in einem extremen Lastfall die Ladung in Bewegung gerät, also u.U. gleitet, bis die Änderungen der Geometrie der Niederzurrung und gegebenenfalls weitere Kraftaufnahme durch Dehnung der Gurte die Bewegung stoppen und die Ladung festhalten. Während dieses kurzen Zeitraums wirkt der Gleitreibbeiwert.
  2. Die vereinfachten Rechenmodelle für Niederzurrungen sind so beschaffen, dass sie ein Kräftegleichgewicht fordern und auch herstellen, ohne Bewegung der Ladung zu unterstellen. Folglich ist es angemessen, den Haftreibbeiwert zu verwenden.

Die Bezugnahme auf Fahrversuche im Argument 1 ist ein ganzheitlicher Denkansatz. Er schließt die tatsächlichen Begleitumstände eines Belastungsfalles ein. Dazu gehören alle positiven wie negativen Einflüsse, wie z.B. kleine vertikale Beschleunigungen, kleine dynamische Zusatzbelastungen infolge der Ladungsbewegung sowie die vollständige Sicherungs­wirkung der Niederzurrung, wie in Kapitel 1.4 beschrieben.

Das Argument 2 bezieht sich auf die vereinfachten Rechenmodelle und könnte sich sogar zu Gute halten, dass die tatsächliche Sicherungswirkung meist noch etwas größer ist, als die Modelle ausweisen. Allerdings wird ein Teil dieses Gewinns dadurch „verbraucht“, dass zumindest im Modell der Norm DIN EN 12195-1:2011 der Übertragungsbeiwert k nicht voll berücksichtigt wird, also durch zusätzliche Wirkungen kompensiert werden muss und auch wird. Zweifellos aber fehlt dem Argument 2 die Berücksichtigung der negative Begleitumstände eines realen Lastfalls, also vertikale Beschleunigungen und dynamische Effekte.

Unabhängig von den genannten Argumenten können noch folgende Gesichtspunkte geltend gemacht werden:

  • Viele niedergezurrte Ladungen, wie mit Einzelpackstücken beladene Paletten, zeigen ein Bewegungsverhalten unter Last, in welchem vorrangig elastische und/oder plastische Verformung vor dem Rutschen der ganzen Ladungseinheit stattfindet. Diese Verformungen reichen vielfach aus, um die volle Sicherungswirkung der Niederzurrung zu entfalten, ohne dass die Ladung rutscht. Das spricht für die Verwendung eines Beiwerts in der Nähe des Haftreibbeiwerts.
  • Extreme Lastfälle sind im Straßenverkehr vergleichsweise selten und wenn sie stattfinden, wiederholen sie sich nicht zwangsläufig. Das verringert das Risiko größerer Verlagerungen und könnte für die Verwendung eines größeren Beiwerts sprechen. Allerdings trifft das nicht zu für Ladungen auf Straßenfahrzeugen, die im kombinierten Verkehr über See gehen, wo sich ungünstige Schiffsbewegungen in großer Zahl wiederholen können, wenn das Schiff starken Seegang antrifft. Hier wäre ein Beiwert näher am Reibbeiwert angemessener.

Die Diskussionen im Nachgang der Verabschiedung der Norm EN 12195-1:2003 haben dazu geführt, dass im Jahre 2004 in Schweden praktische Versuche durchgeführt worden sind, mit denen eine Reihe von strittigen Punkten geklärt werden sollten. Einer dieser Punkte war die Frage nach dem anzuwendenden Reibbeiwert in der Bemessung von Niederzurrungen.

Es wurden hierzu sechs Fahrversuche mit Vollbremsung und Aufzeichnung der Beschleunigungen in Längs- und Vertikalrichtung durchgeführt. Die mit Niederzurrung gesicherte Ladungseinheit war eine stehende Papierrolle von 600 kg Masse. Der Haftreibbeiwert zwischen Papierrolle und Ladefläche wurde zuvor mit drei Zugversuchen zu 0,54 ermittelt. Die Niederzurrung bestand aus einem Polyestergurt, der mit einem beidseitigen Zurrwinkel α = 58,7° quer zum Fahrzeug gespannt war. Die sechs Versuche wurden mit unterschiedlichen, schrittweise abnehmenden Vorspannwerten der Niederzurrung durchgeführt.

Test Nr.

Mittelwert der Verzögerung

Vorspannung vor dem Versuch (beide Seiten)

Vorspannung nach dem Versuch (beide Seiten)

Fiktiver Reibbeiwert für Kräftegleichgewicht

1

6,76 m/s2

600 kg

0,372  kein Rutschen

2

6,95 m/s2

600 kg

0,382  kein Rutschen

3

6,97 m/s2

500 kg

500 kg

0,415  kein Rutschen

4

6,96 m/s2

400 kg

400 kg

0,452  kein Rutschen

5

7,14 m/s2

300 kg

310 kg

0,510  kein Rutschen

6

7,27 m/s2

250 kg

390 kg

 0,547 rutscht 45 mm

Die Auslegung der untersuchten Niederzurrung unter Verwendung des Gleitreibbeiwerts hätte eine Vorspannung von rund 600 daN (als Summe beider Seiten) gefordert, die Auslegung unter Verwendung des Haftreibbeiwerts jedoch nur rund 250 daN. Die Versuchsreihe zeigt erwartungsgemäß, dass ein Rutschen erst beginnt, wenn die benötigte Sicherungskraft größer wird als die Reibung, die der Haftreibbeiwert liefern kann. Das ist im 6. Versuch der Fall, wo der Haftreibbeiwert von 0,54 überschritten wird. Im 5. Versuch deutet die geringfügige Erhöhung der Vorspannung eine sich anbahnende Bewegung der Papierrolle an.

Nachdem im 6. Versuch die Haftung überwunden ist, gleitet die Papierrolle nach vorn. Dabei besteht sofort ein kleiner Überschuss der nach vorn wirkenden Trägheitskraft gegen die nun geringere Gleitreibung und der löst eine beschleunigte Bewegung der Papierrolle aus. Diese Bewegung wird jedoch schnell gehemmt, weil sich der Gurt dehnen muss und dadurch seine Spannung erhöht. Außerdem entsteht durch den Versatz der Rolle eine kleine, nach hinten gerichtete und direkt wirkende Kraftkomponente. Das sind die zusätzlichen Sicherungswirkungen der Niederzurrung, die für das Rutschen in Längsrichtung in Kapitel 1.4.5 der vorliegenden Abhandlung beschrieben worden sind.

Die durchgeführte Versuchsreihe und ihr Ergebnis, so wenig es auch überraschen kann, zeigt das Dilemma der Fragestellung sehr deutlich. Legt man die Niederzurrung auf der Basis des Gleitreibbeiwerts aus, so darf man sehr sicher sein, dass die Ladung im vorgeschriebenen Bezugslastfall niemals gleiten wird. Der Sicherungsaufwand ist dann aber wegen der mehrfach erwähnten Nichtlinearität des Reibungseinflusses beträchtlich und im Grunde unnütz, weil er nie in Anspruch genommen wird. Das ist volkswirtschaftlich bedenklich.

Legt man hingegen die Niederzurrung auf der Basis des Haftreibbeiwerts aus, so besteht aus mehreren Gründen die Möglichkeit, dass dieser nicht ganz ausreicht und die Ladung mit dem nun geringeren Gleitreibbeiwert „in Fahrt“ kommt. Zwar kann die in Kapitel 1.4 beschriebene zusätzliche Sicherungswirkung der Niederzurrung die Ladung meist noch halten. Aber das ist nicht sicher. Auch darf nicht vergessen werden, dass diese zusätzliche Wirkung zum Teil als Ausgleich für andere Defizite der vereinfachten Rechenmodelle dienen soll.

Die im Verify-Report(6) gezogene Schlussfolgerung lautet, dass die bei einer Vollbremsung auftretenden vertikalen Beschleunigungen keinen nennenswerten Einfluss ausüben und daher die Verwendung des Haftreibbeiwerts bei der Bemessung einer Niederzurrung „physikalisch korrekt“ sei. Dieser Schlussfolgerung kann nicht ohne Vorbehalt zugestimmt werden. Sie ist im Sinne der vorgenannten Überlegungen zu einseitig. Auch reicht die geringe Zahl der Versuche und die auf einen bestimmten Fahrzeugtyp und auf eine einzige Ladungsart angewandte Versuchsanordnung für eine solche generelle Bewertung nicht aus.

Eine salomonische Lösung könnte lauten: Es ist im Rechenmodell ein graduell verringerter Haftreibbeiwert zu nehmen, der dazu führt, dass etwas mehr Gurte oder größere Vorspannkräfte gewählt werden müssen, als es der tatsächliche Haftreibbeiwert ergäbe. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit, dass die tatsächliche Haftreibung nicht ausreicht, auf ein von allen Beteiligten akzeptiertes Minimum gesenkt werden.

Es ist denkbar, dass die Definition des für Niederzurrungen anzuwendenden Reibbeiwertes im Anhang B der Norm DIN EN 12195-1:2011 dieser Lösung sehr nahe kommt. Dort wird die Verwendung eines normativen Wertes μ vorgeschrieben, der experimentell auf zwei alternativen Wegen ermittelt werden kann:

  1. Aus fünf Kippversuchen wird der mittlere Neigungswinkel α bestimmt, bei dem die zu untersuchende Ladungseinheit zu rutschen beginnt. Das geschieht beim Erreichen der maximal möglichen Haftreibung. Als normativer Reibbeiwert wird dann festgelegt:
    (52)
  2. Es werden näher beschriebene Zugversuche(7) mit registriertem Gleiten durchgeführt, die zu einem mittleren Verhältnis von Zugkraft zu Gewichtskraft führen. Die Zugkraft ist die Gleitreibung. Als normativer Reibbeiwert wird dann bestimmt:
    (53)

Die normative Gleichwertigkeit dieser beiden Ergebnisse und ihre Bezüge zur Haftreibung und Gleitreibung lässt einen Schluss auf das unterstellte Verhältnis von Gleitreibung μD zu Haftreibung μS zu. Ein solches Verhältnis kann selbstverständlich nur als grober Bezugswert aufgefasst werden, da es hierfür bekanntlich keine physikalische Gesetzmäßigkeit gibt.

Im Vorgriff auf Kapitel 2 sei hier erwähnt, dass für die Berücksichtigung von Reibung bei Direktsicherung nach der Norm DIN EN 12195-1:2011 der oben festgelegte normative Reibbeiwert μ mit dem Faktor fμ = 0,75 verringert werden soll. Es wird damit für die Bewertung einer Direktsicherung ein Reibbeiwert von 0,75 × 0,925 × μS = 0,694 × μS vorgesehen.

Zu völlig anderen Aussagen und Empfehlungen kommt eine in Deutschland im Jahre 2007 fertig gestellte Studie(8) mit dem Titel „Untersuchung der Wirksamkeit von Reibungskräften bei der Sicherung verladener Güter im Fahrbetrieb“. Die Studie enthält die Ergebnisse von Zugversuchen unter Verwendung von Anti-Rutschmaterial sowie Zugversuchen mit und ohne Niederzurrungen, quasistationär und unter der Einwirkung von vertikalen Schwingungen der Ladefläche. Wichtig im vorliegenden Zusammenhang sind die Versuche mit und ohne Niederzurrung.


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Bild 31: Reibbeiwerte im Zugversuch ohne Niederzurrung (Quelle: Flog)

Bild 31 zeigt die aus dem Verhältnis Zugkraft zu Gewichtskraft ermittelten Reibbeiwerte einer Sequenz von drei Versuchen mit der Materialpaarung Siebdruckboden, strukturiert / Euro­palette, sägerau.

Der Haftreibbeiwert liegt beim ersten Versuch bei 0,3 und fällt dann auf 0,26 und 0,24 ab. Die Gleitreibbeiwerte liegen im Mittel bei 0,18. Diese Werte sind erstaunlich niedrig im Vergleich zu anderen Angaben für gleiche Materialpaarung, die bislang zur Debatte stehen:

DIN EN 12195-1:2004:          μS = 0,5          μD = 0,35

DIN EN 12195-1:2011:          μS = 0,4865    μD = 0,4164    (umgerechnet aus μnormativ)

In einem Referenzversuch wird die gleiche Ladungseinheit von 400 daN Gewicht mit zwei Niederzurrungen unter dem beidseitigen Zurrwinkel α = 80° und einer Vorspannkraft von beidseitig rund 350 daN gesichert und dann gezogen. Hinweis: Diese Niederzurrung war so ausgelegt, dass sie unter Annahme eines Reibbeiwerts von 0,18 ohne Gleiten einer Zugkraft standhalten sollte, die einer Verzögerung von 0,8 g entsprach. Das zeigt folgende Bilanz:

Der unterstellte Reibbeiwert von 0,18 entspricht etwa dem mittleren Gleitreibbeiwert aus dem vorangegangenen Versuch. Mit dem dort festgestellten Haftreibbeiwert von ca. 0,30 hätte die Ladungseinheit erst bei einer Zugkraft von 484 daN rutschen dürfen. Das entspräche einer Verzögerung von 1,21 g. Tatsächlich aber rutschte die Ladungseinheit im ersten Versuch schon bei einer Zugkraft von weniger als 200 daN, also der Hälfte ihres Gewichts, wie die Aufzeichnung in Bild 32 zeigt.


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Bild 32: Reibbeiwerte im Zugversuch mit Niederzurrung (Quelle: Flog)

Die scheinbar ansteigenden Reibbeiwerte im zweiten und dritten Versuch sind auf die elastische Dehnung und Kraftzunahme der Gurte und auf ihre direkt wirkenden Längskomponenten zurückzuführen, welche die Versuchszugkraft und damit den scheinbaren Reibbeiwert ansteigen lassen.

In der Studie der Universität Dortmund wird das überraschend große Defizit an Sicherungswirkung mit möglichen Setzvorgängen und möglicher plastischer Dehnung der Zurrgurte sowie sonstigen Einflüssen erklärt. Das erscheint aber wenig plausibel. Unterstellt man den gleichen Haftreibbeiwert von μS = 0,3 wie im ersten Versuch ohne Niederzurrung, so lässt sich die wirkende mittlere Vorspannkraft FT in den Niederzurrungen bei Beginn des Rutschens mit einer Zugkraft von 0,48 des Gewichts berechnen. Die Bilanz lautet:

Ein so drastischer Rückgang der Vorspannkraft von rund 350 daN auf rund 60 daN durch Setzvorgänge oder plastische Dehnung der Gurte ist wenig wahrscheinlich.

Trotz dieser ungeklärten Frage oder vielleicht gerade weil sie nicht geklärt wurde, lautet die zusammenfassende Empfehlung der Autoren der Studie, dass „für die Berechnung von Ladungssicherungsmaßnahmen nicht der Haftreibbeiwert, sondern der Gleitreibbeiwert eingesetzt werden muss. Diese Vorgabe hat sich in den durchgeführten Untersuchungen als unbedingt einzuhaltende Mindestvorgabe herausgestellt.“

Diese Empfehlung wurde im Jahre 2007 ausgesprochen, hatte aber offenbar keinen Einfluss auf die Beratungen zur Neufassung der EN 12195-1 in den Jahren 2008 bis 2010 mit dem Ergebnis, den oben beschriebenen mittleren Wert zwischen Haft- und Gleitreibbeiwert normativ vorzusehen.

Allerdings hat die genannte Studie die im September 2011 veröffentlichte Richtlinie VDI 2700 Blatt 14 mit dem Titel „Ermittlung von Reibbeiwerten“ nachhaltig geprägt. In dieser Richtlinie wird ein Sicherheitsabschlag S = 0,95 festgelegt, mit dem der durch Zugversuche festgestellte Gleitreibbeiwert zu multiplizieren sei, bevor dieser für die Bewertung von Ladungssicherungsvorkehrungen verwendet wird. Dieser Sicherheitsabschlag erscheint dann – für einige europäische Delegationen überraschend – in der Endfassung der EN 12195-1:2010 und auch in der DIN EN 12195-1:2011 (siehe Gleichung (53) oben).

 


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