Organisierte Kriminalität –
Uhren auf dem Weg nach Osten
Vortrag von Herrn Bernd Schulz-Eckhardt, Landeskriminalamt Hamburg


Einleitung

Seit 1999 stellen die Polizeien der Länder – zunächst in Nordrhein-Westfahlen, dann im gesamten Bundesgebiet – vermehrt sog. Blitzeinbrüche und Raubüberfälle zum Nachteil von Juweliergeschäften fest.

Nachdem die Polizei in NRW durch die Einrichtung einer speziellen Ermittlungskommission ("EK Blitz") auf diese Taten reagiert hatte, war eine starke Verlagerung der Tatorte nach Norddeutschland und ins benachbarte Ausland zu erkennen (Dänemark, Belgien, Holland, Schweden). Raubüberfalle zum Nachteil von Juweliergeschäften stand nun im Vordergrund.

In verschiedenen Bundesländern wurden daraufhin Ermittlungsgruppen gebildet, die sich diesem Kriminalitätsphänomen annahmen.

Die Polizei erkannte bald, dass sie es nicht mit einzelnen Tätern, sondern mit verschiedenen, gut organisierten Tätergruppen zu tun hatte, die in jeweils wechselnder Zusammensetzung ihre Taten begingen. Diese Tätergruppen kamen aus verschiedenen Städten in Polen und aus Jugoslawien.


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Die Täter

Besonders aktiv und deshalb auch im Focus der Ermittlungen sind Tätergruppen aus der nordpolnischen Stadt Koszalin und ihrer näheren Umgebung. Aus diesem Grund und wegen ihres Bezuges nach Hamburg, beschränke ich mich in meinem Vortrag auf die kriminellen Handlungen dieser Gruppierungen.

Die Stadt Koszalin hat über 100.000 Einwohner. Die Kluft zwischen arm und reich ist dort, wie auch im übrigen Polen, sehr groß. Die sogenannte Mittelschicht ist nicht oder nur in geringem Umfang vorhanden. Die Metallindustrie ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, der durch den Fremdenverkehr im Küstenbereich ergänzt wird. Die Arbeitslosenquote liegt bei ca. 35 %.

Die Auswertungsergebnisse div. Ermittlungsgruppen zeigen deutlich die strukturelle Organisation der handelnden Tätergruppen.Während die Auftraggeber für die Taten und die Verwerter der Beute in Polen sitzen, halten so genannte Kuriere ständigen Kontakt zu den reisenden Tätergruppen und den Auftraggebern in Polen.

Darüber hinaus befinden sich in verschiedenen Orten Deutschlands Residenten, deren Aufgabe darin besteht, den Tätergruppen Unterkunft zu verschaffen und die gesamte weitere Logistik zur Verfügung zu stellen.

Die aus Polen anreisenden Tat ausführenden Tätergruppen bestehen meist aus drei bis fünf Personen und werden von sog. Gruppenführern angeführt. Ihnen obliegt die Planung und Überwachung der Tatausführung.

Bei den die Tat ausführenden Personen handelt es sich um junge Polen, im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Sie werden u. a. auf der Straße, in Discotheken oder Gaststätten angeworben. Entweder wird ihnen leicht zu verdienendes Geld versprochen oder es wird ihnen Geld geliehen, das sie zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht zurückzahlen können. Auf diese Weise werden sie in eine finanzielle Abhängigkeit gebracht, die sie dazu bringt, die Taten auszuführen.

Viele von ihnen haben keinen Beruf und keinerlei Aussicht auf eine feste Anstellung. Staatliche soziale Unterstützungsmaßnahmen gibt es nicht.

In dieser Situation stellen die kriminellen Handlungen im Ausland eine lukrative Alternative dar, da das erlangte Geld die Täter oftmals mehrere Monate lang über Wasser hält.

Auch ist bekannt, dass einige Täter durch Drohungen gegen Familienangehörige zum "Arbeiten" genötigt wurden.


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Arbeitsweise Raubüberfall und Blitzeinbruch

Die Täter reisen teilweise getrennt auf unterschiedlichen Wegen und mit verschiedenen Verkehrsmitteln unmittelbar vor Tatbegehung nach Deutschland ein. Nach dem Grenzübertritt wird der späteren Tatort meist nicht direkt angefahren. Häufig werden mehrere mögliche Tatorte "überprüft", bevor der Gruppenführer entscheidet. Hierzu werden weite Strecken zurückgelegt und z. T. mehrere Tage investiert. Nicht selten trennt sich die Gruppe für eine gewisse Zeit, um sich dann an einem anderen Ort und auf unterschiedlichen Wegen wieder zusammenzuschließen. Die Gruppe ist mit Handys ausgestattet, um den Kontakt untereinander sicherzustellen.

Arbeitsweise Raubüberfall

Das Tatobjekt wird in der Regel schon Tage oder Wochen vorher während der Geschäftszeiten aufgesucht. Die Sicherheitseinrichtungen werden ausgekundschaftet, die Auslagen begutachtet und die Frequenzen und Zeiten des Kundenstroms festgehalten. Teilweise wurden die Geschäfte und ihre Auslagen hierzu mit Videokameras gefilmt.

Das benutzte Tatwerkzeug, wie Hämmer, Äxte usw., wird entweder aus Polen mitgebracht oder in Baumärkten in Deutschland kurz vor der Tat erworben.

Zur Tatausführung betreten zwei bis drei Täter das Geschäft, wobei durch den ersten Täter die anwesenden Personen unverzüglich mit der Schusswaffe bedroht werden, damit sie sich ruhig verhalten. Dieser Täter verhindert auch das Zufallen der Eingangstür. Dieses Verhalten ist darauf zurückzuführen, dass bereits Täter im Tatobjekt festgenommen werden konnten, weil sich die Türen von innen nicht mehr öffnen ließen.

Bei den verwendeten Waffen handelt es sich in der Regel um Gas- bzw. Schreckschusswaffen, allerdings wurde in mindestens einem Fall auch eine scharfe Waffe benutzt.

Die anderen Täter suchen zielgerichtet die Vitrinen mit hochwertigen und exklusiven Uhren auf, schlagen sie mit den mitgeführten Werkzeugen ein und packen die Beute in mitgebrachte Rucksäcke oder Stoffbeutel. Anschließend verlassen sie fluchtartig das Geschäft. Die eigentliche Tatausführung dauert meist nur 30 bis 80 Sekunden.

Nach dem Verlassen des Geschäftes werden die Maskierung, Handschuhe, Tatwaffen weggeworfen und die Oberbekleidung gewechselt.

Zur unmittelbaren Flucht vom Tatort werden vielfach zuvor entwendete Fahrräder am Tatort bereitgestellt. Im Verkehrsgewühl ist ein sicheres Untertauchen garantiert.

Das Verhalten der Täter nach der Tat richtet sich nach der geografischen Lage des Tatortes. In Großstädten ist ein Verhalten wie zuvor beschrieben zu erkennen. Im ländlichen Bereich und in Kleinstädten versuchen sie so schnell wie möglich mit bereitgestellten PKW den Tatort zu verlassen.

Arbeitsweise Blitzeinbruch

Im Bereich der Blitzeinbrüche wird der Tatort im Gegensatz zu denen der Raubüberfälle meist bereits in Polen festgelegt.

Unmittelbar vor der Tat wird ein Pkw entwendet, der bei der Tatausführung als Rammfahrzeuge verwendet wird. Ein weiteres entwendetes Fahrzeug wird in unmittelbarer Tatortnähe als Fluchtfahrzeug bereitgestellt.

Bei der Tatausführung wird das Rammfahrzeug in den Eingangs- oder Schaufensterbereich des Geschäftes gefahren. Je nach Beschaffenheit des Tatobjektes und den vorhandenen Sicherungseinrichtungen werden hierzu ggf. Hindernisse aus dem Weg geräumt.

So wurde festgestellt, dass mit am Fahrzeug befestigten Stahlseilen Sicherungsgitter aus der Verankerung gerissen, Holzbohlen als zusätzliche Ramme am Fahrzeug befestigt, oder Sprungschanzen angelegt wurden, um auf dem Gehweg vorhandene Hindernisse zu überwinden.

Durch die so entstandene Öffnung dringen die Täter in die Geschäftsräume ein. Hierbei ist beachtlich, dass oft kleinste Öffnungen ausreichen. Mit mitgebrachten Hämmern oder Äxten werden nun die Vitrinen eingeschlagen, die Beute in vorbereitete Taschen gefühlt und der Tatort sofort verlassen.

Die eigentliche Tatausführung dauert in der Regel nur 2 bis 3 Minuten. Nach der Tat benutzen die Täter das bereitgestellte Fahrzeug zur Flucht.

Verwertung der Beute

Nach bisher hier vorliegenden Erkenntnissen werden die Uhren in den polnischen Großstädten – teilweise umgearbeitet – in Juweliergeschäften verkauft. Da der Markt in Polen mittlerweile aber gesättigt scheint, werden gestohlene Uhren auch in Spanien, den USA und Russland angeboten.


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Maßnahmen der Strafverfolgung

Die polizeilichen Erfahrungen zeigen, dass man dieses Kriminalitätsphänomen nur mit Ermittlungsgruppen und in enger Zusammenarbeit mit polnischen Sicherheitsbehörden erfolgreich bekämpfen kann.

Diese Erkenntnis hat zur Einrichtung verschiedener zentraler Ermittlungsstellen geführt. Beispiele hierfür sind die Ermittlungsgruppe "Hammer" in Hannover, die Ermittlungsgruppe "Polnische Intensivtäter Uhren" in Berlin, die ´Ermittlungskommission "Uhren" in Essen und die Ermittlungsgruppe "Tiffany" in Hamburg.

Durch die ungeheure Mobilität der Täter ist ein unmittelbarer nationaler und internationaler Informationsaustausch zwischen den Polizeien absolut erforderlich (Deutschland: Länderpolizeien / BGS und BKA). Nur so können Fahndungsmaßnahmen und andere kriminalpolizeiliche Ermittlungen erfolgversprechend durchgeführt werden.

Eine ganz entscheidende Rolle kommt hier den Verbindungsbeamten des BKA in den Nachbarländern zu. Über sie werden die direkten Kontakte der sachbearbeitenden Dienststellen mit den Polizeidienststellen im Ausland hergestellt.

Aus dem Hamburger Verfahren hat sich die enge Zusammenarbeit den polnischen CBS Dienststellen als äußerst positiv herausgestellt. Dazu gehörte letztendlich auch die ganz enge Zusammenarbeit der beteiligten Staatsanwaltschaften. Hierdurch wurden in Polen Ermittlungsverfahren eingeleitet und erfolgreiche Durchsuchungs- und Festnahmenaktionen, die Gegenstand ganzseitiger Pressemitteilungen waren und zur Verunsicherung der "Szene" führten, durchgeführt.

Aus die enge Zusammenarbeit der Hamburger Polizei mit den Polizeidienststellen Dänemarks hat bereits Früchte getragen. Gemeinsam konnten zunächst zwei Täter in Dänemark festgenommen werden. Sie hatten bei ihrer Festnahme das komplette Raubgut aus einem kurz zuvor durchgeführten Raubüberfall in Kopenhagen bei sich.Durch die anschließenden Ermittlungen konnten weitere Personen festgenommen werden, die sich derzeit alle in Dänemark in Haft befinden.

Auf justizieller Ebene nahm am 01.03.2002 EUROJUST seinen Dienst auf. EUROJUST ist eine Institution der Europäischen Union zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Organisierten Kriminalität.

Zu EUROJUST werden von den Mitgliederstaaten der Europäischen Union nach Maßgabe ihrer Rechtsordnungen Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte, die mit gleichwertigen Befugnissen ausgestatten sind, zusammengeschlossen.

EUROJUST hat die Aufgabe erhalten, zu einer wirksamen Koordinierung zwischen den mit den Ermittlungen beauftragten nationalen justiziellen Behörden beizutragen und ihre Ermittlungen auf dem Gebiet der Organisierten Kriminalität zu unterstützen.

Bereits am 17.04.02 kam es zu einem ersten Treffen zum Thema. Teilnehmer waren die Länder: Polen, Niederlande, Belgien, Schweden, Dänemark und Deutschland.

Die Delegierten der jeweils beteiligten Länder gaben einen groben Überblick über die Situationen in ihren Heimatländern bzgl. diese Kriminalitätsphänomens.

Es wurde deutlich, dass in allen beteiligten Ländern entsprechende Tätergruppen agieren, die vornehmlich aus der Stadt Koszalin stammen. Darüber hinaus wurde jedoch auch deutlich, das es Tätergruppen aus anderen polnischen Städten bzw. aus anderen osteuropäischen Ländern gibt, die sich in diesem Deliktsbereich bewegen.


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Einige Zahlen

Taten

In 2001 wurden der OK-Auswertung in Hamburg (LKA 7012) 24 Blitzeinbrüche und 31 Raubstraftaten aus Deutschland bekannt, die der Gruppe aus Koszalin zugerechnet wurden.

Vom 01.01.02 bis 31.08.02 wurden 23 Blitzeinbrüche und 38 Raubstraftaten dieser Gruppen registriert.

Da es keine geregelten Meldewege/Meldeverpflichtungen gibt, kann das Zahlenmaterial keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In einzelnen Bundesländern und beim BKA werden Auswerteprojekte gefahren.

Man kann jetzt zu zweierlei Schlussfolgerungen kommen: Einerseits könnte die Tatfrequenz im Auswertungszeitraum 2002 zugenommen haben, andererseits könnte sich das Meldeverhalten der Polizeien verbessert und die Sensibilität für das Phänomen erhöht haben. Ich tendiere eher zu der zweiten Möglichkeit.

Täter

Nach in Hamburg vorliegenden Erkenntnissen wurden seit 2001 in Deutschland mehr als 50 Tatverdächtige festgenommen und befinden sich z. T. in Haft. Dies hält aber andere Täter nicht von weiteren Taten ab.

Durch polnische Behörden wurden in den letzten Wochen und Monaten eine Vielzahl von Tatverdächtigen ermittelt, etliche Festnahmen durchgeführt, von denen sich derzeit 28 in Untersuchungshaft befinden. Weiterhin wurden dort Uhren im Wert von über 1 Mio € sichergestellt. Die Zuordnung zu entsprechenden Taten in Deutschland oder den Nachbarländern ist initiiert.


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Prävention

Ziel aller Präventionsmaßnahmen ist es,

dass Leben und die Gesundheit der Firmeninhaber, ihrer Mitarbeiter und Kunden nicht zu gefährden.
die Beute des Täters gering halten.
die Möglichkeit zu schaffen, schnell und gefahrlos Alarm auszulösen, damit die Polizei schnellstens am Tatort sein kann.


Dieses erreicht man durch eine

sensible und moderne Elektronik,
hochwertige Mechanik,
firmenintern abgestimmte Organisation (wer kümmert sich um was).


Hier einige verhaltensorientierte und technische Aspekte aus der polizeilichen Praxis:

Die Mitarbeiter eines Geschäftes halten sich nie in einem Bereich auf, sondern verteilen sich auf die gesamte Geschäftsfläche.
Es sollte im Vorwege festgelegt werden, welcher Mitarbeiter sich welchen der Täter merkt (Türsicherung, Vitrinenbereich, Zeugen usw.), so dass genauere Beschreibungen von Personen und deren Verhaltensweisen an die Polizei weitergegeben werden können.
Wichtig: In diesen Situationen ist kein falsches Heldentum, sondern Ruhe und eine gute Beobachtungsgabe gefragt.
Von den sachbearbeitenden Dienststellen wird immer wieder bemängelt, dass die Raumüberwachungsanlagen mangelhaft eingestellt oder gar nicht funktionstüchtig sind. Ebenso wird die schlechte Bildqualität angemahnt. Es sollten modernere Überwachungsanlagen installiert werden, die dem heutigen Stand der Technik entsprechen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Täter ihre Tatorte zuvor auskundschaften.
Moderne Videoaufzeichnungsanlagen können bei Alarmauslösung während eines Raubüberfalles direkt auf die Monitore der Polizeieinsatzzentrale geschaltet werden. So kann die Polizei eine schnellere Lagebeurteilung durchführen und den Einsatzkräften schon auf dem Anfahrtsweg zum Tatort wertvolle Informationen zur Verfügung stellen.
Hand- und Fußmelder und andere getarnte Auslösefunktionen der Überfallmeldeanlage sollten in ausreichender Zahl in den Geschäfts- und Nebenräumen vorhanden sein, so dass eine für den Täter nicht erkennbare Alarmauslösung stets möglich ist. Mit der Folge, dass Videokameras das Bild der Geschäftsfläche auch in Nebenräume transportieren, in denen sich ständig Mitarbeiter aufhalten, die von dort dann ggf. Alarm auslösen können.
Wertvolle Schmuckstücke und Uhren können mit GPS Sendern versehen werden, die anlässlich eines Raubes aktiviert und später lokalisieren werden können.
Eine lückenlose Inventarisierung der wertvollen Stücke trägt bei späteren Sicherstellungen zu einer schnelleren Identifizierung bei.
Vernebelungsgeräte als zusätzliche Sicherungseinrichtung können die Täter bei der Tatausführung erheblich behindern, bzw. von der weiteren Tatausführung abhalten.
Es kann geprüft werden, ob im Boden versenkbare stabile Aluminiumpoller installiert werden können, um ein unmittelbares Einfahren in die Schaufenster zu verhindern. ( Rücksprache mit den zuständigen Behörden erforderlich.)
Hochwertige Konstruktionen von Gitter- oder Rollläden sollten nur innenliegend installiert werden, um so einen Angriff auf diese Einrichtungen durch Herausreißen mittels Stahlseilen zu verhindern.
Große Schaufensterbereiche können durch bauliche Maßnahmen in kleine Segmente von innen unterteilt werden, um den Tätern den Zugriff auf den Schaufensterbereich zu erschweren.




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