Temperaturgeführte Transporte von Pharmaprodukten
Vortrag von Herrn Franz Kasten (Reck & Co. GmbH)



Inhaltsverzeichnis


 Fokus und Ausschlüsse

 Besonderheiten bei Pharmatransporten

 Transportorganisation

 Worauf kommt es bei der Schadenfeststellung an?

 Beispiele aus der Praxis

 Empfehlungen







Fokus und Ausschlüsse

Die Firma kümmert sich mit 25 Mitarbeitern um alle Aspekte, die ein Transportschaden mit sich bringt – von der Begutachtung eines solchen Schadens mit eigenen Sachverständigen über die Abwicklung des Schadens für Transportversicherer oder selbstversicherte Großindustrie bis hin zur Regressnahme des Schadenverursachers.

Der Hauptsitz der Firma ist in Bremen, darüber hinaus gibt es gemeinsame Büros mit Lloyd’s und AIMU Agenturen in Bremen, Hamburg, Berlin und München sowie Tochtergesellschaften in Belgien und Frankreich. Die Firma operiert weltweit.

In diesem Vortrag soll vor allem auf die besonderen Herausforderungen eingegangen werden, die Pharmaprodukte für einen temperaturgeführten Transport darstellen.

Zunächst wird eine Eingrenzung des Themas vorgenommen.

Anschließend sollen die Besonderheiten bei Pharmatransporten umrissen werden, gefolgt von einer genaueren Betrachtung der Organisation von Pharmatransporten.

Dann wird beleuchtet, worauf es bei der Schadenfeststellung ankommt – sowohl aus Pharma- als auch aus Sachverständigensicht.



Der Vortrag konzentriert sich auf internationale Kühltransporte im Bereich +2°C bis +8°C bzw. 25°C, die bereits ein sehr weitläufiges Feld darstellen. Aufgrund der Vielseitigkeit des Themas muss sich auf einige wenige Aspekte beschränkt werden, um den Zeitrahmen nicht zu sprengen.


Einige Definitionen:

Fertigprodukte – Das sind Arzneimittel, wie sie in der Apotheke erhältlich sind.

Halbfertigprodukte sind z. B. aktive Ingrediens (Arzneimittelgrundstoffe)

Einige Beispiele aus der Praxis sollen das Thema griffiger machen und es noch besser veranschaulichen.



Folgende Themen werden in diesem Vortrag komplett ausgespart:

Die Flächendeckende Distribution von Klein-/Paket-Sendungen ist ein eigenes Thema und würde hier zu weit führen.

Aus Erfahrung sind besonders die Distributionstransporte risikobehaftet, die nicht durch ein spezialisiertes Unternehmen durchgeführt werden. Das sind Transporte, bei denen Kühlgut z. B. in normalem Paketversand in Kühlkartons mit 72 Stunden maximaler Kühldauer verschickt werden.

Im Falle einer Fehlanlieferung ist der Schaden garantiert.

Rohstoffe, aus denen erst Wirkstoffe extrahiert werden sollen, sind nicht Thema, auch wenn bereits hier bei der Schadenbeurteilung der hohe Qualitätsanspruch der Pharmaindustrie zum Tragen kommt.

Zu den Rohstoffen kann man auch Blutplasma zählen. Das ist ein Sondergebiet, das hier nicht behandelt wird. Zudem handelt es sich dabei um Tiefkühlgut.



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Besonderheiten bei Pharmatransporten

Hohe Werte bei geringen Gewichten



Ein Beispiel:

1 Palette Insulin mit einem Gewicht von 250 kg hat einen Warenwert von ca. EUR 250.000,-.
Zum Vergleich: Eine Palette Äpfel hat bei einem Gewicht von 1.000 kg einen Wert von ca. EUR 1.000,-.

Eine Medikamentenverpackung nimmt aufgrund der sehr viel geringeren Dichte eine Temperaturveränderung sehr viel schneller an als eine Palette Äpfel. Pharmazeutika sind gegen Schwankungen in der Kühlkette weit anfälliger als die meisten anderen Kühlprodukte.

Nicht ganz unwichtig bei der Definition der Werte ist die Stufe in der Wertschöpfungskette, auf der der Schaden entsteht. Die Wertschöpfungsstufen für die Validierung der Produkte können sein:

Stock Value (Produktionskosten)
Händlerabgabepreis (inkl. Entwicklungskosten)
Verkaufspreis


Es gibt erhebliche Margensprünge zwischen den einzelnen Stufen.


Unsichtbarkeit des Schadenbildes



Die Abbildung oben zeigt eine beschädigte Palette mit Insulin – das ist aber von außen nicht erkennbar.

Man sieht es einer Sendung leider nicht automatisch an, ob sie zu warm oder zu kalt transportiert worden ist. Äußerlich ist die Sendung einwandfrei. Tatsächlich ist sie aber aufgrund der Abweichung aus dem vorgegebenen Kühlkorridor ein Totalschaden.

Der Besichtiger macht sich vor Ort ein Bild von der Ware. Das hilft bei seiner Auseinandersetzung mit dem Produkt und dem Ereignis. Er sammelt Informationen im Gespräch, aber einen Schaden kann er nicht aus eigenem Augenschein bestätigen.


Besondere Empfindlichkeit

Die Verletzung definierter oberer und unterer Temperaturgrenzwerte führt zum Totalschaden. Es gibt keine Richtwerte mit Auslegungsspielräumen.

Dabei müssen die definierten Temperaturen nicht unbedingt diejenigen sein, die für den Transport vorgegeben wurden. Es kommt darauf an, dass für den erfahrenen Temperaturbereich Haltbarkeitsstudien vorliegen.


Schwarz/Weiß Denken

Bei Ost und Gemüse kann ein Schaden oft durch Sortieren der Ware gemindert werden. Alles, was keine faule Stelle hat, ist gesund und kann verkauft werden. Eventuell schneller als geplant, aber es gibt noch Geld dafür.

Bei Pharmazeutika geht es meistens um alles oder nichts. Alles, was nicht innerhalb der Grenzwerte transportiert wird, ist ein Totalschaden.


Regulatorische Vorschriften von besonderer Extensität

Es gibt detaillierte nationale Vorschriften. Für Deutschland seien an dieser Stelle nur beispielhaft das Arzneimittelgesetz und das Betäubungsmittelgesetz genannt. I. d. R. basieren diese Vorschriften auf internationalen Vorgaben und Regelwerken der Weltgesundheitsorganisation WHO.


Keine Publicity

In der Pharmaindustrie ist man generell sehr sensibel, was die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit angeht.

Bei Transportschäden gilt dies ganz besonders. Jede Verbindung zu Produkt und Hersteller soll vermieden werden. Ein Schaden ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer negativ belastet. Was eine unsachliche Berichterstattung für Schäden anrichten kann, dürfte jedem aus der Presse bekannt sein.


Hohes Haftungsrisiko

Es geht nicht um Geld, sondern um Leben!

Der Hersteller muss nachweisen können, dass er bei der Durchführung seiner Logistik nach GMP/GDP-Richtlinien gehandelt hat (auf diese Richtlinien wird noch eingegangen). Kann er dies nicht nachweisen, weil für die erfolgte Abweichung keine Studien vorliegen, dann kann jede Folge, einschließlich der normalen Fehler- bzw. Nebenwirkungsquote, die jedes Medikament hat, gegen ihn verwandt werden. Er kann sich nicht entlasten.


Geringes Regresspotential



Kommen wir noch einmal auf die Palette Insulin von vorhin zurück:

250 kg Gewicht, EUR 250.000,- Warenwert

Die Schadenersatzforderung wären unter den Bedingungen der

Seefracht mit 2 SZR/kg EUR 1.100,-
CMR mit 8,33 SZR/kg EUR 4.700,-
MÜ mit 19 SZR/kg EUR 9.600,-

Das ist nicht gerade üppig.




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Transportorganisation

GMP/GDP Richtlinien

Beschädigungen an Pharmazeutika treten hauptsächlich auf dem Transportweg auf, sehr viel seltener im Lager. Dafür sind bei Lager- bzw. Kumulschäden oft sehr viele höhere Werte im Spiel.

Die nachfolgenden Punkte sind die gängigsten Themen bei der sorgfältigen Organisation von Pharmatransporten.

Good Manufacturing Practice (GMP) und Good Distribution Practice (GDP) sind Standardwerke, die der Behandlung von Pharmazeutika zu Grunde liegen. Sie werden von der WHO, der Europäischen Kommission sowie nationalen Organisationen wie der Amerikanischen FDA herausgegeben.



Diese Abbildung (oben) zeigt zum Thema "Good Manufacturing Practice" eine Übersicht der Rubriken auf nationaler und internationaler Ebene.

Es ist für einen Außenstehenden ein nahezu undurchdringbarer Dschungel an Vorschriften und Verordnungen, der aber aufgrund der strengen Gesundheitsvorschriften, der Vielseitigkeit von pharmazeutischen Produkten und deren Be- und Verarbeitung unbedingt benötigt wird.



Gesetzestexte sind meist keine spannende Lektüre, aber dieser hier muss einmal genauer betrachtet werden.

Im Grunde genommen haben alle GMP/GDP-Richtlinien den § 5 des Arzneimittelgesetzes zur Grundlage. Dieser ist auch die Basis, auf Grund derer die Qualitätsabteilungen der Pharmafirmen im Zweifelsfalle ihre Entscheidung treffen:

  1. Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden.

  2. Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.

Aufgrund der extrem hohen Werte wird jeder neue Transportweg vor Aufnahme in die regelmäßige Belieferung analysiert, qualifiziert und getestet. Die Vorgehensweise ist von Hersteller zu Hersteller sehr unterschiedlich in Qualität und Ausführung. Hier seien exemplarisch nur ein paar Punkte genannt:


Welche Wahlmöglichkeiten gibt es bei der Auswahl der Transportmittel und Dienstleister?

Wenn z. B. ein Lufttransport nach Algier (Algerien) organisiert wird, sind bei weitem nicht so viele Auswahl- und Ersatzmöglichkeiten vorhanden wie z. B. bei einem Lufttransport nach New York.

Nach England oder Spanien kann man per Lkw fahren oder ein Flugzeug nehmen. Hier ist oft die Sendungsgröße ausschlaggebend und wie zeitkritisch die Ware ist.

Bei Landtransporten sind Aspekte wie die Art des Kühl-Lkw interessant. Niemand will hochwertigen Pharmaprodukte in einem Kühltrailer transportieren, der ansonsten unverpackte Schweinehälften durch die Gegend fährt.

Bei Seefracht ist u. a. interessant, ob die gewünschte Strecke direkt bedient wird, oder über Transshipment-Hubs, was zu einer Verlängerung der Transitzeit und – durch zusätzliche Umschlagpunkte – zu zusätzlichen Risiken führt.


Welche Verpackung ist für die untersuchte Transportstrecke die praktikabelste?

Bei Lufttransporten führt kein Weg an Envirotainern vorbei. Wobei hier interessant ist, ob Envirotainer der ersten oder zweiten Generation eingesetzt werden.

Bei Lkw-Verkehren stellt sich unter anderem die Frage, ob der eingesetzte Trailer bereits ein Kühlaggregat mit Temperaturmodulation hat oder noch nicht. Ist das Kühlaggregat sauber auslesbar?

Bei Seetransporten haben Reefer-Container den Charme, dass sie – im Vergleich zu Envirotainern, die mit Trockeneis betrieben werden – über ein elektronisch gesteuertes Kühlaggregat verfügen.

Bei der Analyse der Umschlagspunkte und ihrer technischen Ausstattung geht es um die grundsätzliche Eignung der Umschlagspunkte für Kühlgut.


Bei Luftfracht interessieren Punkte wie diese:

Sind die genutzten Terminals an den Flughäfen qualifiziert, Envirotainer zu handeln? Es gibt dafür nur ein limitiertes, wenngleich auch wachsendes, Netzwerk an Stationen weltweit.

Wo werden die Envirotainer während des Umschlages gelagert? Wenn das Bodenpersonal nicht ausreichend geschult ist, kann es passieren, dass ein Terminalbetreiber mit wenig Erfahrung den Envirotainer wohlmeinend in ein Kühlhaus stellt, wofür dieser nicht ausgelegt ist. Die Außentemperatur muss mindestens 5°C höher sein als die Kühltemperatur im Envirotainer.


Bei Lkw stellen sich Fragen wie:

Kann die Ware als Direkt-Transport abgewickelt werden? Wenn nicht, wie sehen die Umschlagläger aus? Sind sie für die zu transportierenden Güter ausgelegt?

Bei Seefracht ist zum Beispiel interessant, ob eine günstige Stauposition an Deck garantiert wird, damit beim Be- und Entladen das Zeitfenster, in dem das Kühlaggregat zwischen Schiff und Terminal ohne Stromzufuhr ist, möglichst klein ist.


Einfuhr- und Zollbestimmungen des Empfangslandes

Gibt es besondere Bestimmungen im Empfangsland, die die zeitnahe und sterile Abfertigung der Güter behindern könnten?

Exemplarisch sei hier die Zollbeschau genannt:

Was ist, wenn der Zoll die sterile Verpackung des Produktes (z.B. ein aktives Ingredienz) öffnen will, um zu prüfen, ob es sich wirklich um Penizillin in Pulverform und nicht um Kokain handelt?

Was kann man dagegen tun bzw. wie kann man sich darauf vorbereiten?


Testsendungen

Ganz wichtig bei der Organisation von neuen Transportstrecken sind Testsendungen!

Wie groß darf meine Sendung sein, damit sie heil und in einem Stück ankommt? Dies ist vor allem bei Luftfracht eine wichtige Fragestellung:

Welche Flugzeuggrößen werden auf der Strecke eingesetzt?
Welche Cargo-Kapazitäten haben diese Flugzeuge?

Nicht, dass unterwegs in Paris plötzlich die Luftfrachtpalette abgebaut und auf kleinere Einheiten verteilt wird, weil der Anschlussflieger keine Luftfrachtpaletten handeln kann.

Manche Hersteller verschicken für besondere Produkte Sendungen mit Wasser anstatt mit Wirkstoffen. Erst wenn 3 solcher Transporte einwandfrei angekommen sind, wird die Transportstrecke freigegeben.

Wie kann man feststellen, ob der Transport einwandfrei gelaufen ist? Das ist durch die Mitgabe von sog. Data Loggern möglich. Diese sind ein unverzichtbares Instrument zur Ermittlung und Analyse von Schwachstellen in der Transportkette.

Data Logger sind heutzutage sehr klein und übersichtlich. Diese Temperaturmessgeräte von der Größe einer Scheckkarte und einem Gewicht von ca. 35 g können bis zu 16.000 Messpunkte speichern. Sie sind im Bereich zwischen -30°C und +70°C einsetzbar. Die Frequenz der Temperaturmessungen ist frei einstellbar – z. B. alle 30 Sekunden oder einmal in der Stunde. Die Geräte sind mit einer Software auslesbar und die Batterie hält je nach Nutzung 1 bis 3 Jahre.

Jeder Data Logger, der im Pharma-Bereich eingesetzt wird, verfügt außerdem über ein Validierungszertifikat, welches die Messgenauigkeit des Loggers bestätigt. Dies ist für die Aussagekraft der Aufzeichnungen bei späteren Schadenverhandlungen sehr wichtig.


Standard Instruktionen bzw. SOPs

Aus all den vorgenannten Kriterien und Ergebnissen werden Standard Operating Procedures (SOP) erstellt. Diese werden individuell vom einzelnen Pharmaunternehmen festgelegt und sind üblicherweise Bestandteil der Rahmenverträge mit den Spediteuren und Frachtführern auf einer Route oder einem Fahrtgebiet.

Hierdurch wird ein einheitliches Verständnis aller Transportbeteiligten sicher gestellt.



Was passiert bei der Feststellung einer Abweichung?

Wenn der Verdacht eines Schadens auftritt, so werden von der Logistik bzw. der Warenannahme eines Pharmaunternehmens als erstes die vorliegenden Informationen dazu ausgewertet. Hier sind die Data Logger, die eine temperaturgeführte Sendung auf dem Transport begleiten, sehr hilfreich.

Wird eine Abweichung festgestellt, so wird der Fall der hauseigenen Qualitätsabteilung zur Überprüfung vorgelegt. Diese stellt fest, ob die Abweichung noch im zulässigen Rahmen ist oder nicht.

Wenn die Abweichung außerhalb des zulässigen Bereichs ist, dann gibt es je nach Firma eine sehr individuelle Handhabung des Schadenfalles.

Je nachdem, wie die Firma strukturiert und aufgestellt ist, wird eine Schadenmeldung an die firmeneigene Versicherungsabteilung, an den Versicherer und/oder den Schadendienstleister zur weiteren Bearbeitung gegeben.

Versicherer und Schadendienstleister erhalten oft erst sehr spät Informationen zu einem Schaden, da dieser meistens erst den eben beschriebenen hausinterne Weg durchläuft.

Dies macht die Ermittlungsarbeit des Sachverständigen oft recht mühsam.




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Worauf kommt es bei der Schadenfeststellung an?

Der Beziehungsaufbau des Sachverständigen zum Pharma-Unternehmen ist aufgrund der komplexen internen Prozesse sehr wichtig, um zu einem befriedigenden Ergebnis bei der Schadenfeststellung zu kommen.

Die Regularien für Medikamente sind, wie bereits erwähnt, extrem hoch. Wenn auch nur der Verdachtsmoment nicht ausgeräumt werden kann, dass eine Sendung eventuell beschädigt sein könnte, kann dies für einen Totalschaden schon ausreichen.


Dokumentation der Transportkette

Eine lückenlose Dokumentation der Transportkette ist sehr wichtig. Hier benötigen wir z. B.:

Den Transportvertrag, aus dem hervorgeht, was vereinbart wurde
Die Beauftragung des Spediteurs – passt diese zum Vertrag?
Die Auslagerungsprotokolle bzw. Übernahmequittungen
Den Transportverlauf – auf welcher Route war die Ware unterwegs?
Umschlagspunkte und deren Schnittstellenprotokolle
Tracking & Tracing Informationen
U.v.m.

Alle diese Dokumente, und noch einige mehr, werden benötigt, um den Transportverlauf sauber nachzeichnen zu können.


Analyse der Temperatur-Auswertungen

Die Analyse der Temperatur-Auswertungen anhand von Data Loggern und Kühlaggregaten ist ein elementarer Bestandteil. Diese Analyse erlaubt zusammen mit der Dokumentation der Transportkette eine genaue Lokalisierung des Schadenortes und eine Eingrenzung der Schadenursache.

Hier ist die Auswertung von 4 Data Loggern zu sehen, die einen Kühltransport begleitet haben. Es handelt sich um einen Lkw-Transport und um ein Kühlaggregat, welches dauerhaft läuft:



Eine vorbildlicher Verlauf! Mittig im Korridor von 2°C bis 8°C und ohne jede Abweichung!


Die nächste Grafik zeigt eine andere Auswertung von 4 Data Loggern, die einen Kühltransport begleitet haben:



Es handelt sich wieder um einen Lkw-Transport, aber diesmal ist die Kühlung im Start/Stop Modus. Dieser Modus ist Energie- und Aggregat schonend.

Im Start/Stop-Modus kühlt das Aggregat bis zu einer definierten Temperatur herunter und schaltet dann ab. Überschreitet die Temperatur im Kühlraum eine bestimmte Temperatur, schaltet sich das Aggregat wieder ein und kühlt wieder. So entsteht eine sogenannte Sägezahnkurve.

Üblicherweise wird die Start/Stop-Technik für Tiefkühlgüter genutzt, bei denen eine leichte Temperaturabweichung nicht gleich so gravierende Folgen haben kann, wie es bei Kühlgütern der Fall ist.

Mit etwas Training lassen sich ganze Geschichten aus den Temperaturkurven rekonstruieren, wie der folgende Temperaturverlauf zeigt:



Auch hier die Kurve einer Start/Stop. Es handelt sich um kein hochwertiges Aggregat, wie aus den starken Schwankungen abgelesen werden kann.

In der Mitte gibt es plötzlich einen abweichenden Temperaturverlauf. Die Kurve ist in diesem Bereich glatt und langsam ansteigend, bevor sie nach 17 Stunden wieder anfängt, im Sägezahn-Modus zu verlaufen.

Nun ist es wichtig, die Transportdokumentation und den Transportverlauf zu kennen, um daraus Rückschlüsse ziehen zu können! Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich um eine Sendung, die im Kühl-Lkw von Deutschland nach Finnland transportiert wurde.

Vor Auffahren des Lkw auf das Fährschiff hatte der Fahrer den Trailer noch einmal richtig herunter gekühlt und das Kühlaggregat dann ausgestellt. Warum?

Die Fährgebühr für einen Stellplatz mit aktiver Kühlung ist sehr viel teurer als mit abgestellter Kühlung, da Trailer mit aktiver Kühlung aufgrund des laufenden Dieselmotors an Deck transportiert werden müssen. Der Fahrer hatte darauf gebaut, dass die Ware durch die Isolierung des Trailers schon ausreichend gekühlt bleiben würde. Dies war leider nicht der Fall.


Aussagekräftiges Statement der Qualitätsabteilung

Bei einer Abweichung gibt es klare Kriterien, nach denen die Qualitätsabteilung eines Pharmaunternehmens über die weitere Vorgehensweise entscheidet:

Umstände der Beschädigung/Abweichung
Verletzung von Kriterien, die durch GMP/GDP vorgegeben sind
Studien zu dem Präparat und dessen Haltbarkeit bei unterschiedlichen Temperaturen
Testreihen zu den Auswirkungen von Temperaturen ober-/unterhalb des empfohlenen Korridors

Liegen keine Testreihen oder Studien zu der konkreten Regelverletzung vor, so wird im Zweifelsfalle auf Basis des Verdachts entschieden.

Qualität steht über dem Versicherungsschutz. Mitarbeiter der Qualitätsabteilung denken und handeln Geld-unabhängig.

Der ermittelnde Sachverständige braucht eine möglichst qualifizierte Aussage der Qualitätsabteilung, warum das Produkt nicht mehr zu benutzen ist. Es ist oft sehr schwierig, an diese Informationen heranzukommen, da sich die Qualitätsabteilungen nur ungern in die Karten bzw. in Ihre Entscheidungsgrundlagen gucken lassen. Hier noch einmal der Hinweis auf §5 AMG.


Überwachte Vernichtung

Wenn ein Schaden festgestellt worden ist und das Pharmaprodukt nicht mehr in Verkehr gebracht werden darf, besteht die Notwendigkeit einer fachgerechten Entsorgung.

In der westlichen Welt ist der Weg der Entsorgung durch klare Gesetzesgrundlagen vorgezeichnet. In anderen Ländern ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Sachverständigen, sicherzustellen, dass die Schadware tatsächlich und vollständig entsorgt wird. Dies geschieht im Interesse des Pharmaunternehmens.

Es soll Fälle gegeben haben, bei denen nach der Vernichtung einer ganzen Batch von Medikamenten in den Vereinigten Arabischen Emiraten die selbe Batch-Nummer 2 Monate später in Bangladesch wieder auftauchte… Eine Katastrophe!


Wie entscheidet die Qualität?



Das Foto oben zeigt ein Beispiel, wie eine Qualitätsabteilung im Falle einer Abweichung entscheidet und warum.

Es handelt sich um eine Flugpalette mit 16 Kartons, die (gegen Regen) in Plastikfolie gewickelt wurde. Die Palette hinten in dem Foto kommt der Beispielpalette von der Größe her recht nahe.

Erlaubte Temperaturen: +2°C bis +25°C

Die Sendung steht stundenlang in der prallen Sonne auf dem Vorfeld. Unter der Plastikfolie wird es warm – sehr warm.

Die Partie wird von zwei Data Loggern begleitet, die an zwei der Packstücken befestigt sind.

Nach Ankunft der Ware werden die Data Logger ausgelesen:

1 Data Logger zeigt maximal 18°C, und
1 Data Logger zeigt maximal 37°C an.

Da es sich um eine eindeutige Abweichung handelt, wird der Fall der Qualitätsabteilung zur Entscheidung vorgelegt.

Nun sind folgende Entscheidungen möglich:

  1. Die ganze Sendung ist ein Totalschaden.

  2. 1 Packstück (mit 18°C) wird freigegeben, bei 14 Packstücken kann der Verdachtsmoment nicht ausgeschlossen werden = Verlust, 1 Packstück (mit 37°C) ist ein klarer Verlust.

  3. 1 Packstück (mit 18°C) wird freigegeben, 14 Packstücken sind ohne Schadennachweis = Freigabe, 1 Packstück (mit 37°C) ist ein klarer Verlust.

Welche Entscheidung hat die Qualitätsabteilung getroffen? Antwort b) ist richtig.


Was passiert, wenn die Schadenfeststellung nicht sauber gelaufen ist?

Es gibt das Problem des Schadennachweises, was zu einer möglichen Ablehnung des Schadens durch den Versicherer führen kann.

Es führt zu Schwierigkeiten im Regress, da

die Gegenseite den Schadennachweis nicht anerkennt bzw. in Frage stellt, und
die Schadenforderung bei nicht lückenlosem Nachweis von Schadenort und Schadenverantwortlichem schwierig durchzusetzen ist.

Ein "Ist kaputt" – Gutachten, also die bloße Feststellung, dass die Ware beschädigt ist, ist für alle beteiligten Parteien ohne großen Nutzen.




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Beispiele aus der Praxis

Hier ist noch einmal die bereits angesprochene Palette Insulin zu sehen:



Die Palette beinhaltet ein Endprodukt als Primärverpackung in Verkaufsverpackung, und diese wiederum in Transportkartons. Das Ganze ist als Gebinde auf einer Palette zusammengefasst – ohne Isolation und ohne Beigabe von Kühlmedien.

Der Wert beträgt EUR 250.000,-, das Gewicht 250 kg. Die Haltbarkeit bis Ende 2012 – aber nur, wenn zwischen Produktion und Abgabe an den Endverbraucher die Kühlkette innerhalb der bei der Produktzulassung bewerteten Grenzen absolut eingehalten wurde.

Als Beispiel sollen 30 Stück dieser Paletten in einer Sendung zum Auffüllen der nordamerikanischen Bestände per Luftfracht in die USA transportiert werden.

Die Sendung ist gebucht für den 30. November – also mitten in der Weihnachtssaison! Nun gibt es eine Beförderungsgarantie, die das Pharmaunternehmen mit dem Spediteur und dem Luftfrachtführer abgeschlossen hat. Also kein wirkliches Problem, denn die Sendung wurde rechtzeitig angemeldet – mit 3 Wochen Vorlauf – und auch die maximale Sendungsgröße wurde eingehalten.

Was kann da noch schief gehen? Ganz vieles! In diesem konkreten Fall 3 Dinge, aber dazu später mehr.


Wie sehen die Rahmenbedingungen aus?

Es existierte eine interne GMP SOP für die Transporte zwischen Produktionsstätten des Kunden. Hier sind u. a. der Aufbau der Verpackung, die Transportbehälter und die Temperaturkontrolle definiert.

Es handelte sich um einen regulären Transport mit maßgeschneiderter SOP zwischen Kunde, Spediteur und Luftfrachtführer. Die SOP regelte alle Schritte vom Bestellen der Envirotainer für den Transport bis hin zur endgültigen Ablieferung.

Es gab ein klar definiertes Service Agreement zwischen dem Kunden und dem Spediteur, welche die zu nutzenden Frachtführer und Routen festschrieb.

Alle Envirotainer waren innen und außen mit mehreren Temperaturaufzeichnungsgeräten (Data Loggern) versehen.



Die Sendung wird in Envirotainer geladen. Alle sind ordentlich bestückt mit den korrekten Mengen Trockeneis im Bunker (und nicht auf der Ware.

Ein regelmäßiger Subunternehmer des Spediteurs holt die Sendung im Werk des Herstellers ab. Der abholende Lkw hat einen Thermokoffer und ist, weil es im November bereits sehr kalt sein kann, auf +12°C vorgeheizt – als Minimum für den sicheren Transport von Kühlgut in Envirotainern.

Die Sendung wird in Frankfurt angeliefert – alles ist gut.

Aber es ist Weihnachtssaison. Der Flieger in Frankfurt ist schon überbucht. Da der Spediteur aber eine vertragliche Garantie unterschrieben hat, dass die Sendung pünktlich verschickt wird, sucht er nach Alternativen.

Der Flieger von München hat noch Platz. Also werden alle Envirotainer auf einen Lkw geladen und nach München transportiert.

In München angekommen, wurden die Envirotainer aufgrund von Platzmangel zwar unter Dach, aber draußen gelagert.

18 Stunden später geht der Flug in die USA. Es erfolgt ein weiterer Umschlag an einem Flughafen in den USA, dann die Zollabfertigung und endlich die Auslieferung an den Endkunden.

Nach Annahme der Sendung und Auslesen der Data Logger wurde auf allen Data Loggern eine mehrstündige Unterschreitung der erlaubten Temperatur-Zone um 5°C auf -3°C festgestellt.


Die Sendung war ein Totalschaden! Warum?

Der Umschlagsflughafen gemäß SOP war FRA, die Envirotainer wurden aber via MUC transportiert und dies trotz eines offiziell ausgesprochenen Embargos des Flughafen Münchens für das Winterhalbjahr. Dies wurde sowohl vom Spediteur als auch vom Frachtführer ignoriert.

Die Lagerung der Envirotainer erfolgte in München zwar unter Dach, aber nicht temperiert. Bei Außentemperaturen von weit unter Null sank die Temperatur während der Außenlagerung im Envirotainer daraufhin entsprechend ab.

Der Luftfrachtführer hielt die von ihm selber initiierten und an die Mitarbeiter schriftlich herausgegebenen Qualitätsstandards für das Handling von temperaturgeführten Gütern nicht ein.

WARUM?

Grund für diese Versagensfälle war die bewusste Entscheidung des Spediteurs, einen anderen als den eigentlich vorgesehenen Frachtführer mit dem Transport zu beauftragen, damit er seine vertragliche Garantievereinbarung mit dem Kunden erfüllen und einer Konventionalstrafe ausweichen konnte. Es muss nicht weiter erwähnt werden, dass die Konventionalstrafe weitaus niedriger als die verursachten EUR 7.500.000,- Schaden gewesen wären.

Ein komplett durchgeplanter Transportablauf geht nicht schief, es sei denn, jemand macht etwas anders als sonst.




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Empfehlungen

Das A und O für sichere Pharma-Transporte besteht in festen Prozessen und dem Nicht-Zulassen von Abweichungen.



Klare vertragliche Vereinbarungen, die keine Abänderungen zulassen, ohne dass diese vorher überprüft wurden.
Der systematische Einsatz von Data Loggern. Sie ist preiswert, zuverlässig und aussagekräftig. Hier stimmt der Spruch: Viel hilft viel! Leider wird mit dieser Technik in manchen Fällen noch zu sparsam umgegangen.
Keine Transporte vor dem Wochenende anfangen! Damit vermeidet man ganz automatisch potentielle Standzeiten und ungeplantes Handling bzw. Lagern der Sendung.
Keine Subsub-Vergabe des Transportes. Ein Spediteur muss die von ihm eingesetzten Frachtführer kennen und vertraglich ausschließen, dass diese den Transport noch einmal untervergeben.
Vertragliche Vereinbarungen müssen für alle Beteiligten – also auch die Nachfolgeunternehmen – gelten.
Analyse jeder neuen Transportroute durch Dummy-Transporte. Die neue Route sollte erst nach der Absolvierung von mindestens 3 gut gelaufenen Transporten zugelassen werden.




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