Die Kühlkette und die technischen Standards –
Erreichbare Ziele oder Utopie

Vortrag von Herrn Klaus Gassner, Havariekommissariat K. Gassner GmbH






Der temperaturgeführte Verkehr, zu dem die Kühlkette gehört, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die neuen EU-Mitglieder drängen auf den Markt, zudem steigt die Erkenntnis, dass Schadenverhütung in diesem Sektor dringend notwendig ist. Als Beweis ist die im September 2010 in Hamburg die durchgeführt "3. Internationale Cool Logistic Conference" anzusehen.

Zum besseren Verständnis sollen zunächst einige Begriffe erläutert werden:


"Die Kühlkette ist das durchgängige System der Kühlung beim Transport zwischen Hersteller, Großhändler, Händler und Verbraucher, insbesondere von Lebensmitteln, zunehmend aber auch von anderen Produkten."




Bei den Vorschriften kann zwischen national geltenden, EU-weit geltenden und weltweit geltenden Vorschriften unterschieden werden. Die von der EU verabschiedeten Vorschriften müssen von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

Es gibt eine Vielzahl an Vorschriften, die z. T. nur für Experten durchschaubar sind. In Österreich sind die Vorschriften in drei Blöcken zusammengefasst worden, um einen besseren Überblick zu verschaffen. Hier als Beispiel ein kleiner Auszug daraus:


Gesamte Rechtsvorschrift für Kälteanlagenverordnung

Beachte

§§ 1, 3, 4, § 5 Abs. 1, §§ 6 bis 24, § 26 Abs. 3 und 4, § 28 und § 29 Abs. 2 bleiben bis zum Inkrafttreten einer Verordnung, die den Betrieb von Kälteanlagen regelt, nach Maßgabe von § 122 Abs. 3 Z 2 und 3 in Geltung (vgl. § 122 Abs. 3 Z 1, BGBl. Nr. 450/1994).

Langtitel

Verordnung der Bundesminister für soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 21. Juli 1969 über den Schutz der Dienstnehmer und der Nachbarschaft beim Betrieb von Kälteanlagen (Kälteanlagenverordnung) StF: BGBl. Nr. 305/1969

Änderung

idF: BGBl. Nr. 234/1972 (BG), BGBl. Nr. 450/1994 (NR: GP XVIII RV 1590 AB 1671 S. 166. BR: AB 4794 S. 587.), (EWR/Anh. XVIII: 378L0610, 380L1107, 388L0642, 391L0322, 382L0605, 383L0477, 391L0382, 386L0188, 388L0364, 389L0391, 389L0654, 389L0655, 389L0656, 390L0269, 390L0270, 390L0394, 390L0679, 391L0383, 392L0057, 392L0058 und 392L0104)



Es ist zu fragen, welche Vorschriften sind für die Transportversicherer von Bedeutung?

Zunächst einmal ist das ATP von Bedeutung, das ist das Übereinkommen über internationale Beförderung leicht verderblicher Lebensmittel – und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind.

In Deutschland gilt bisher noch die DIN EN 8958 (Prüfung von Kühleinrichtungen) und die DIN EN 8959 (wärmegedämmte Transportmittel für Lebensmittel), in absehbarer Zukunft wird aber auch hier das ATP Anwendung finden.

In vielen Ländern wurde das ATP bereits auch für nationale Transporte eingeführt.

Das ATP-Übereinkommen wurde bereits am 01.09.1970 völkerrechtlich in Kraft gesetzt und in 28 Vertragsstaaten in nationales Recht umgesetzt. Derzeit liegt beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ein Entwurf zur Umsetzung der 8. Verordnung des ATP in Nationales Recht vor. Dieser Änderungsentwurf umfasst 96 DIN A4 Seiten!


Für die Transportversicherer ist wichtig, dass die Beförderungsmittel abgenommen sind und dass an ihnen im grenzüberschreitenden Verkehr die Übereinstimmung der Beförderungsmittel mit den entsprechenden Normen des ATP durch das vorgeschriebenen Schild nachgewiesen wird (s. Abbildung rechts).

Dieses Schild gilt derzeit nur im internationalen Verkehr; in Deutschland müssen die Fahrzeuge aber weitgehend in gleicher Weise ausgerüstet sein.

 


Wichtig ist ferner die Klassifizierung gemäß ATP und DIN 8959 (Einsatzbereich der Beförderungsmittel). Die Beförderungsmittel werden entsprechend ihrer Eignung und Ausrüstung für den Transport leicht verderblicher Lebensmittel in Klassen eingeteilt. So wird z. B. unterschieden zwischen Beförderungsmittel für den Frischdienstbereich (Kennzeichen "FNA") und dem Tiefkühlbereich (Kennzeichen "FRC"). Für beide gilt, dass sichergestellt sein muss, dass die Temperatur zu keiner Zeit – auch nicht beim Be- und Entladen – um mehr als 3°C über die zulässigen Grenztemperaturen ansteigt.


Beispiele für weitere Vorschriften bzw. DIN EN-Normen:

DIN EN 12406: Thermalwechselbehälter der Klasse C, Maße und allgemeine Anforderungen
DIN EN 12410: Thermalwechselbehälter der Klasse A, Maße und allgemeine Anforderungen
Erdgasverordnung EG/842/2006 über bestimmte Treibhausgase
Erdgasverordnung DIN EN 12830: Temperatur-Registriergeräte für den Transport, die Lagerung und die Verteilung von gekühlten, gefrorenen und tiefgefrorenen Lebensmitteln und Eiscreme. Prüfungen, Leistung, Gebrauchstauglichkeit.
DIN EN 13485: Temperatur-Registriergeräte und Thermometer für den Transport, die Lagerung und die Verteilung von gekühlten, gefrorenen und tiefgefrorenen Lebensmitteln und Eiscreme.
Richtlinie 2004/22/EG vom 31.03.2004 über Messgeräte. Darüber hinaus als deutsche Normung (die europäische Normung EN läuft):
DIN 8958: Prüfung von Kühleinrichtungen für wärmegedämmte Transportmittel


Allein die Überschriften bestehen hier aus endlosen Bandwurmsätzen, und der Inhalt ist häufig schwer verständlich.

Wichtig ist vor allem, dass die zum Einsatz kommenden Beförderungsmittel den gültigen Vorschriften entsprechen. So gilt es z. B. zu beachten, dass auch beim Inlandstransport in einigen EU-Statten wie Italien, Spanien oder Frankreich anders als in Deutschland ein ATP-Zeugnis auch im nationalen Verkehr vorgeschrieben ist.

Im Schadenfall sollte ein Havariekommissar in seinen Havariezertifikaten darauf (und auf alle anderen beurteilungsrelevanten Vorschriften) hinweisen.


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Die Kühlkette

Die Kühlkette sollte genauer als "Kette im temperaturgeführten Verkehr" bezeichnet werden, denn es gibt auch Transporte von Waren, bei denen eine bestimmte "hohe" Plustemperatur durchgehend garantiert werden muss. Abweichungen über +/- 3°C sind nicht zulässig.

Die Kühlkette für den Transport beginnt spätestens bei der Bereitstellung des Transportguts zum Abtransport. Für diesen Zeitpunkt müssen Verhältnisse vorliegen und dokumentiert sein, die die Übernahme des Transportguts in die Kühlkette ermöglichen. Es muss sichergestellt sein, dass alle Teile des Transportguts die vorgeschriebene Temperatur aufweisen. Die Verpackung muss die Einhaltung der vorgeschriebenen Temperatur gewährleisten. Die vorhandenen Temperaturen könnten durch ein an der Verpackung angebrachtes Label nachgewiesen werden, auf denen der Übernehmende die Temperatur eintragen muss. An jeder Schnittstelle und bei der Übergabe an den Empfänger muss die angegebene Temperatur kontrolliert werden.

Dies kann nur einen kleinen Teil des Problems erfassen. Entscheidend sind der Zustand im Inneren des Packstücks und die dort ablaufende Prozesse. Die Möglichkeiten, dies zu prüfen, sind z. T. noch in der Entwicklung, noch nicht voll ausgereift und meist kostenintensiv. Dabei handelt es sich um die RFID-Technik (radio-frequency identification).

Die bisherige Label-Methode zwingt zumindest alle Mitarbeiter der Transportkette, sich von den im Frachtbrief geforderten Temperaturen zu überzeugen bzw. diese zu prüfen (Schnittstellenkontrolle).

Wie wird die Temperatur gemessen? Auch geeichte Geräte müssen richtig eingesetzt werden, um fehlerhafte Ergebnisse zu vermeiden.

Diese zwei Bilder von einem Fleischtransport zeigen schwere Fehler beim Transport, bei der Hygiene und bei der Messung. Das hier erstellte Gutachten eines Havariekommissars war in keinem Punkt haltbar.




Es fehlt leider an verbindlichen Vorschriften. So gibt es z. B. keine Vorschriften, wie lange der Temperaturfühler in das Fleisch gesteckt werden muss.

Erfolgt die Verladung in einem Kühlhaus, ist nicht automatisch sichergestellt, dass die Dockschleuse zu dem angedockten Beförderungsmittel passt. Hier fehlt trotz der zahlreichen Vorschriften eine EU-weite Normung.

Im Beförderungsmittel selbst sind z. B. Gefahren durch Fehler bei folgenden Punkten möglich: Ladungssicherung, Strömungsvorgänge in der Luftführung, Aufzeichnungsgeräte über den Temperaturverlauf, Ventilation, Kältebrücken.

Dieses Foto zeigt Gefrierbrand eine Folge solcher Fehler:



Auf dem Foto rechts ist eine Folge mangelhafter Ladungssicherung zu sehen:

 


Bei Beförderungsmitteln mit Trennwand sind besondere Anforderungen an die Luftführung zu stellen. Es sind mindestens 2 Messpunkte erforderlich – einer am Ende des Abteils 1 und ein weiterer in unmittelbarer Nähe der Hecktüren.

Ist der Kühlluftstrom nach hinten unterbrochen, so wird die vorgeschriebene Temperatur im hinteren Abteil nicht eingehalten. Ursache hierfür können abgeklemmte Luftschläuche sein oder eine nicht richtig geschlossene Trennwand, s. folgende Bilder.

Die Weintrauben im Foto unten links befanden sich im vorderen Abschnitt, die im rechten Bild aus dem hinteren Abschnitt:



Es gibt keine klaren Anweisungen, wann und wo sich wer von der einwandfreien Luftführung zu überzeugen hat. Dies ist nicht die Aufgabe des Fahrers.

Normalerweise sollte das Beförderungsmittel an einem Kühlhaus beladen werden. Häufig ist dies nicht der Fall. Hier fehlen Vorschriften, wie das Beförderungsmittel vorzukühlen ist, wie lange die Beladung bei welchen Temperaturen dauern darf und wann sie ggf. für wie lange zu unterbrechen ist.

Wird falsch vorgekühlt, bei +30°C beladen, ohne entsprechende Ventilation und bei falschen Temperaturen befördert, kommt es unweigerlich zu solchen Schäden:




Es handelt sich um Kartoffeln aus Marokko.

Kartoffeln sollen bei Temperaturen zwischen +4° und +12°C transportiert werden.

Bei höheren Temperaturen steigt die Atmungsaktivität der Knollen, was die Keimung beschleunigt. Der Temperaturbereich von +21° bis +29°C ist kritisch, denn die Verdunstung des Wassers auf den Knollen erhöht sich signifikant und führt zu einem vermehrten Wachstum von Keimen.

Dies sind nur einige wenige Beispiele zu dieser Thematik, vieles kann hier aus Zeitgründen nicht angesprochen werden – u. a. die Beförderung im Kühlcontainer, als Luftfracht oder im kombinierten Verkehr. Die Grundlagen sind aber die gleichen.


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Erreichbare Ziele oder Utopie

Im Fokus stehen hier die Menschen und die moderne Überwachung. Es müssen alle technischen Voraussetzungen gegeben sein. Dennoch sind nicht alle Vorschriften z. B. des ATP genügend praxisorientiert. So sind viele Details präzise geregelt, aber die richtige Anwendung wird nicht beschrieben.

In der Zukunft dürfte die technische Überwachung durch Funkchips in der Kühlkette zur Regel werden, der RFID-Technik (radio-frequency identification). Diese Funkchips werden am und im Transportgut angebracht und zeichnen u. a. Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf. Bei Abweichungen wird ein Alarm ausgelöst. Die inzwischen auf dem Markt befindliche 3. Generation dieser Technik ist bereits nutzbar.

Auch wenn diese Technik für das Transportgewerbe zunächst höhere Kosten verursacht, so ist sie m. E. absolut sinnvoll und notwendig. Zudem fallen die Preise für diese Technik kontinuierlich. Beim temperaturgeführten Lkw-Transport sollte diese Technik als erstes eingesetzt werden.

Ohne entsprechend qualifiziertes Personal kann diese Technik jedoch nicht sinnvoll genutzt werden. Entsprechend sind unbedingt Weiterbildungskurse für Mitarbeiter im temperaturgeführten Transportbereich erforderlich. Bisher werden solche Schulungen leider so gut wie nicht angeboten. Dies muss sich dringend ändern, denn der RFID-Technik gehört im temperaturgeführten Transport m. E. die Zukunft.



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