Trends in der Logistik

Vortrag von Herrn Kap. AG Ralf Zibell, Allianz Globus MAT Versicherungs-AG

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Rückblick auf die 90er Jahre
Ausblick auf die Jahre 2000+




Vorwort



Abbildung 1


Das Motiv des Deckblattes – der Blick von der Kommandobrücke eines Seeschiffes in stürmischer See – veranschaulicht den Schwerpunkt des Themas "Trends in der Logistik". Auch der Logistikmarkt befindet sich "in schwerem Wetter". Er hat in den vergangenen Jahren gravierende strukturelle Änderungen erfahren, die nahezu alle Elemente und Beziehungen dieses Marktsystems betreffen und die sich weiter fortsetzen werden. Infolge dieser Entwicklung haben sich auch unsere traditionellen TR-Risiken verändert. Sie sind komplexer und teilweise größer geworden. Von daher erscheint es lohnenswert, den Blickwinkel auf diese Entwicklung zu erweitern und rückblickend – aber auch vorausschauend – die Trends dieses Marktes zu spezifizieren.


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Rückblick auf die 90er Jahre

Die Lieferleistungen



Abbildung 2


In den 90er Jahren vollzog sich innerhalb der Unternehmenslogistik der Wandel von einer funktionsorientierten zu einer flussorientierten Organisation und Betrachtungsweise, in deren Mittelpunkt die Gestaltung und Optimierung von Prozess- und Wertschöpfungsketten stand. Neben den betrieblichen Hauptprozessen der Beschaffung, der Produktion und der Distribution wurden die Bereiche der Entwicklung und der Entsorgung in die Planung und Koordination der Material- und Informationsströme integriert. Die hieraus resultierende ganzheitliche Betrachtungsweise mündete konsequenterweise in ein Prozesskettenmanagement, welches die ehemals einzelnen Teilfunktionen eines Unternehmens jetzt bereichsübergreifend optimiert und die Prozessketten im Rahmen eines ganzheitlichen Systems bis hin zur Bildung von globalen Netzwerken miteinander verknüpft.

Innerhalb dieser neuzeitlichen Unternehmenslogistik gewinnt der Wettbewerbsfaktor Zeit erheblich an Bedeutung. Aufgrund der steigenden Erwartungen an Schnelligkeit und Flexibilität entwickelt sich die Zeit zu einem der kritischsten Faktoren in den Logistiksystemen, da sie sich in einer Verkürzung der Durchlauf- und Lieferzeiten niederschlägt. Entsprechend erhöhen sich die Anforderungen an die Lieferleistungen. Das Credo lautet: Schneller, pünktlicher und auch schadenfreier. Dass dies nicht leicht zu realisieren ist, zeigt u.a. die Schadenentwicklung in den Portefeuilles der Versicherer.

Parallel zu diesem hohen Anspruch an die Lieferleistung verändern sich die Strukturen der Sendungen. Die aus risikotechnischer Sicht relativ reibungslos abzuwickelnden Komplettladungen nehmen von Jahr zu Jahr ab. Stattdessen müssen immer mehr Aufträge mit immer geringeren Liefermengen pro Auftrag an immer mehr Kunden distribuiert werden. Diese Entwicklung hat sich deutlich im rasanten Wachstum der KEP-Märkte niedergeschlagen. Sie mündet in eine nahezu atomisierte Sendungsstruktur, wie wir sie aus den virtualisierten Märkten des eCommerce kennen.

Die neuen Kommunikationstechniken helfen nicht nur dem Logistikunternehmen, sich jederzeit ein Bild vom Status der Auftragsabwicklung zu machen. Auch sein Auftraggeber und der Empfänger fordern inzwischen diese Auskunftsfähigkeit, ist sie doch im Rahmen beispielsweise der Just-in-Time-Lieferung wichtiger Bestandteil der Fertigungsoptimierung. Darüber hinaus steigert der Einsatz von Scan-Technologie im Rahmen einer lückenlosen Sendungsverfolgung die Effizienz der Transportketten und die Möglichkeiten einer dokumentierten Qualitätssicherung in der Leistungserstellung.

Es liegt auf der Hand, dass die hohen Leistungsstandards dieser Distributionslogistik auch entsprechend qualifiziertes Personal erfordern. Dies aber ist in der Praxis zur Zeit nicht erkennbar. So hat kürzlich die Wirtschaft über einen Mangel an ausgebildeten Logistikfachkräften geklagt und eine "Ausbildungsinitiative Logistik" gestartet, die u.a. den Vorschlag für einen neuen Ausbildungsberuf "Logistikfachmann" enthält. Es ist nur schwer nachzuvollziehen, dass gerade der Bundesverband Spedition und Logistik (BSL) sich gegen dieses neue Berufsbild ausgesprochen hat, zeigt aber die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der derzeitigen Marktsituation.


Der Güterstruktureffekt

Die Industrieunternehmen konzentrieren sich zunehmend auf ihre Kernkompetenzen und reduzieren ihre Produktionstiefe. Sie umgeben sich mit einem Netzwerk von externen Zulieferern und Dienstleistern, die in Randgebieten kostengünstiger arbeiten. In einem weitergehenden Schritt gehen die Hersteller vornehmlich mit Systemlieferanten Kooperationen ein und beziehen von ihnen nicht nur Teile oder weitergefertigte Module, sondern ganze Komponenten. Die Systemlieferanten kooperieren ihrerseits wiederum mit Teilelieferanten, so dass sich der Fertigungsvorgang sowohl bei den Produzenten als auch beim Systemlieferant vereinfacht und beschleunigt.

Infolge dieser Entwicklung werden nicht nur Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für den Input der Produktion sowie ihr Output als Fertigware für den Endverbraucher transportiert, sondern zunehmend Zwischenprodukte in Form von Komponenten und Modulen für Endprodukte. Dies führt im Durchschnitt zu höheren Warenwerten in den Transportmitteln und Fahrzeugen, was sich in einem höheren durchschnittlichen Schadenaufwand niederschlägt.


Der EU-Binnenmarkt



Abbildung 3


Die Liberalisierung des europäischen Güterverkehrsmarktes hat nicht nur den Konzentrationsprozess unter den Verkehrsdienstleistern forciert, sondern diese Marktteilnehmer auch einem äußerst scharfen Wettbewerb ausgesetzt bei noch keineswegs abgeschlossenen Harmonisierungsbemühungen in den nationalen und grenzüberschreitenden Verkehrsmärkten. Diese Situation hat im Vergleich zum früheren staatlich sanktionierten Frachttarif des innerdeutschen Straßengüterfernverkehrs zu sinkenden Frachtraten geführt mit in Folge abschmelzenden Ertragsmargen. Der daraus resultierende Druck auf die Betriebskosten des Fuhrgewerbes hat sich deutlich niedergeschlagen in einer Dienstleistungsqualität, die mit den hohen Anforderungen der logistischen Wertschöpfungsketten nicht im Einklang steht und letztlich sich in höheren und häufigeren Warenschäden niederschlägt. Diese Entwicklung ist um so gravierender, je häufiger die logistischen Dienstleistungen im Zuge eines Outsourcing an externe Logistikunternehmen vergeben werden.

Die Integration des Europäischen Binnenmarktes macht in einer Reihe von Unternehmen die Überarbeitung ihrer Produkt-Markt-Strategien erforderlich. Sie mündet fast zwangsweise in eine Ausdehnung der regionalen Absatzmärkte und in eine Etablierung neuer Standorte für die Vertriebs- und Produktionsgesellschaften. Durch die europaweite Konzentration des Handels wird für viele Hersteller die europaweite Distribution zur Überlebensfrage. Nicht zuletzt erzwingen neue Wettbewerber derartige Europastrategien. Vor diesem Hintergrund haben sich die traditionellen Verkehrsstrukturen der europäischen Güterströme verändert. Die in den letzten Jahren zu beobachtende Zunahme der tonnenkilometrischen Leistungen sind keineswegs nur Ausdruck eines höheren Gütervolumens, sondern ebenfalls das Resultat längerer Transportstrecken im europäischen Verkehrsnetz mit längeren Transportzeiten und höherem Schadenpotential. Darüber hinaus haben sich Verkehrsverlagerungen auf alternative Transportmittel ergeben wie beispielsweise im Fährverkehr oder im küstennahen Short-Sea-Verkehr. Aus ehemals traditionellen Schienen- oder Straßentransporten in der Nord-Südachse werden auf diese Art gebrochene Verkehre mit Teilstrecken per Schiff und den damit verbundenen Seerisiken.

Die sich ändernde Warenverteilung im Europäischen Binnenmarkt führt vermehrt zur Benutzung von europäischen Verteilzentren, die mehr oder weniger als bestandslose Umschlagpunkte benutzt werden (Cross Docking). Es sind wichtige Bausteine zukünftiger Beschaffungs- und Distributionssysteme, die sich risikotechnisch dadurch auszeichnen, daß sie die Stufigkeit der Distributionssysteme reduzieren und somit auch die Anzahl der Warenumschläge im Verteilungsprozess. Außerdem kann durch dieses Cross Docking die sich anbahnende Komplexitätssteigerung der Distributionslogistik gezielt abgefangen werden, was dem TR-Risiko zugute kommt.


Neue Märkte



Abbildung 4


Die Globalisierung der Märkte und die weiter fortschreitende Arbeitsteilung der industriellen Fertigung führt dazu, dass Unternehmen zunehmend Teile ihrer Produktion in Länder verlagern, deren Rahmenbedingungen im Bereich der Lohnnebenkosten, Rohstoffkosten und Umweltauflagen günstiger sind. Sofern Logistik-Dienstleister konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen sie sachgerecht auf diese Veränderungsprozesse reagieren, indem sie Niederlassungen in diesen Billiglohnländern eröffnen oder mit regionalen Partnern Kooperationen eingehen. All zu oft aber zeigt sich, dass diese strategischen Partnerschaften in den Logistikunternehmen nicht nur von einem starken Kosten-, sondern auch Leistungsgefälle geprägt sind.

Die Globalisierung der Märkte erstreckt sich auch auf die neuen Ostmärkte und andere sich dynamisch entwickelnde Wirtschaften wie beispielsweise in Südost/Ostasien oder in Lateinamerika. Dieser Trend erfordert eine weitere Ausdehnung der Distributionsnetze, die zumindest teilweise die Schwerpunkte der traditionellen TR-Risiken verschiebt. Neben die klassischen Warenschäden durch Verlust oder Beschädigung treten immer häufiger auch kriminelle Übergriffe auf die Ladungen oder sogar betrügerische Manipulationen in der Auftragsabwicklung. In ihrer geographischen Ausdehnung hat diese Szene durchaus Schwerpunkte, sie agiert aber im Prinzip grenzüberschreitend und folgt der Globalisierung der Märkte.


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Ausblick auf die Jahre 2000 +

Veränderte Beschaffungsregionen



Abbildung 5


Im Zuge der weltweiten informatorischen Vernetzung von Wirtschaftsregionen wird die Transparenz der Beschaffungsmärkte hinsichtlich bestehender Preis- und Leistungsunterschiede verbessert. Hieraus wird zunehmend eine globale Beschaffungsstrategie (Global Sourcing) abgeleitet, mit der Preisvorteile ausländischer Anbieter genutzt werden. Unter diesem Aspekt wird der hiesige Markt seine Bedeutung als Beschaffungsregion verringern, während das übrige Westeuropa wie auch die grenznahen Länder der Europäischen Union und einige asiatische Länder ihre Stellung als potentielle Beschaffungsmärkte ausbauen. Die fortschreitende Harmonisierung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beschleunigt diese Entwicklung. Als Nebeneffekt dieses Global Sourcing wird darüber hinaus der Einstieg in neue Absatzmärkte gesehen. Es liegt auf der Hand, dass mit diesen strukturellen Veränderungen der Beschaffungsmärkte sich auch die TR-Risiken verändern.


Verlagerung von Produktionsstätten



Abbildung 6


Außer den strukturellen Verschiebungen im Global Sourcing verändern sich auch die Standortpräferenzen der Industrieunternehmen. Die Schaffung einer globalen Marktpräsenz wird zunehmend als wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Marktposition im internationalen Wettbewerb angesehen. Der Weg dieser Strategie führt weniger über eine Erhöhung der Exporte, sondern über Direktinvestitionen. Bei der Errichtung neuer Produktionsstätten im Ausland steht die Nähe zu den neuen Kunden und Absatzmärkten im Vordergrund. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Iberische Halbinsel und die Märkte der mittelosteuropäischen Länder wie Ungarn, Polen und Tschechien.


Verschiebung von Wertschöpfungsanteilen in vorgelagerte Prozessketten



Abbildung 7


Wie bereits oben beschrieben ist in nahezu allen Industriebranchen ein Trend zur Verringerung der Produktionstiefe zu beobachten. Dabei werden zunehmend ursprüngliche Fertigungsaufgaben in den Bereich der Beschaffung und in die Ebene der Zulieferer umgeschichtet. Als Folge dieses insgesamt steigenden Fremdleistungsanteils in der Fertigung

werden die Transportentfernungen länger
werden die Warenwerte höher
werden die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Herstellern und ihren globalen Zulieferern größer
steigen Komplexität und Umfang der Versorgungsprozesse
entstehen netzwerkartige Produktionsstrukturen, die eine neue Qualität der Kooperation und eine effiziente Planung und Steuerung dieser logistischen Netzwerke erfordern.


Veränderungen in der Distributionsstruktur



Abbildung 8


Im Zuge der Liberalisierung der Transportmärkte wurden und werden weiterhin neue Ansätze zur Optimierung der Distributionsstruktur entwickelt. Zunehmend rücken geographische und demographische Aspekte bei der Gestaltung dieser Warenverteilungsnetzwerke in den Vordergrund. Als Problemlöser und in Anbetracht sinkender Transportkosten wird derzeit das Modell des europäischen Verteilzentrums angesehen mit anschließender Direktbelieferung in der Warenzustellung. Die daraus resultierende Konsolidierung der Lagerstufen führt zu geringeren Lager- und Bestandskosten. Sie minimiert nicht nur die Kapitalbindung in der Materialwirtschaft, sondern reduziert auch die Anzahl der Warenumschläge im Distributionsprozess.


Outsourcing



Abbildung 9


Insbesondere Industrieunternehmen planen zunehmend die Fremdvergabe nicht nur operativer, sondern auch administrativer Logistikleistungen. Mit dieser Strategie verfolgen sie nicht nur das Ziel einer Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen, sondern auch eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit ihrer eigenen Prozesse. Parallel zu der Fremdvergabe von Randtätigkeiten reduzieren Fertigungsbetriebe durch die Einführung neuer Konzepte wie Lean Production und Just-in-Time-Anlieferungen die Durchlaufzeit ihrer Produkte und können so besonders flexibel auf sich ändernde Marktsituationen reagieren.

Die Fremdvergabe der logistischen Randtätigkeiten betrifft vor allem die Abwicklung der klassischen Logistikaufgaben wie Transport, Lagerung, Kommissionierung und Distribution. Darüber hinaus aber wird das Logistikunternehmen in erheblichem Umfang in den gesamten logistischen Informationsaustausch zwischen Hersteller, Zulieferer und Empfänger eingebunden. Dies erfordert besonderes Knowhow und aufwendige Informationssyteme. Es liegt auf der Hand, dass diese strategischen Partnerschaften nur mit besonders zuverlässigen und leistungsstarken Logistikunternehmen reibungslos funktionieren. Ohne qualifizierte Dienstleister in diesem Marktsegment steigt das Risikopotential und die Verluste/Beschädigungen im Warenfluss.


Entwicklung der Logistikkosten



Abbildung 10


Einerseits stellen die Logistikkosten einen großen Kostenblock der Gesamtkosten eines Unternehmens dar. Andererseits liegt genau hierin die Chance und die Attraktivität der logistischen Prozessoptimierung. Dies gilt nicht nur für den Handel und die Industrie, sondern auch für Dienstleistungsunternehmen.

Traditionell haben Handelsunternehmen aufgrund der fehlenden – aber kostenintensiven – Produktion eine geringere Gesamtkostenbasis. Dies führt

letztlich dazu, dass die Logistikkosten dieser Unternehmen im Vergleich zu industriellen Fertigungsbetrieben prozentual schwerer ins Gewicht fallen.

Allen Unternehmen gemeinsam aber ist die Einschätzung, dass trotz wachsender Leistungsumfänge der Logistik, die eigentlich eine Erhöhung des Logistikkostenanteils erwarten lässt, dieser Kostenblock sich im Trend mittelfristig reduziert.



Abbildung 11


Es bleibt zu hoffen, dass dieser Trend der Logistikkostenanteile sich nicht überträgt auf die Leistungsqualität der Unternehmen, die in zunehmendem Maße die logistische Leistungserstellung übernehmen. Dennoch wird offensichtlich, dass die proaktive Schadenvorsorge zwar beim Warenhersteller und seinen Zulieferern anfangen muss, aber ohne die Integration der Logistikunternehmen in diesen Prozess nicht auskommt.

ENDE


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