Europäische Normierungsarbeit für die "Erhaltung des kulturellen Erbes": Wie funktioniert das?

Ziele, Grundsätze und Konsequenzen, aktueller Stand

Vortrag von Herrn Kornelius Götz, Obman im DIN Spiegelausschuss zu CEN/TC 346



Inhaltsverzeichnis


 Einführung – was sind Normen?

 Arbeitsschritte in der Europäischen Normung

 Arbeitsgruppen

 Verschiedenes







Einführung – was sind Normen?

Warum gibt es Normen?

Handelshemmnisse bremsten die Europäische Wirtschaft:




Abbildung 1: Handelshemmnisse bremsten die Europäische Wirtschaft, © DIN 2007


Das Ziel der Normierung ist deshalb der Abbau von Handelshemmnissen. Die Normierung hat also in erster Linie einen wirtschaftlichen Hintergrund.


Was sind Normen?

Normen gelten als sogenannter "Stand der Technik":

sind eine Selbstverpflichtung der "interessierten Kreise"
werden bei Leistungsausschreibungen verwendet
gelten bei Streitfällen als Maßstab
geben einen Rahmen in der Selbstverpflichtung zur Qualität
erleichtern Mobilität von Objekten und Personen


Normen sind keine Gesetze – ABER:

europäische Rechtsnormen nehmen zunehmend Bezug auf EN-Normen
europäischen Normen werden durch nationale Übernahme DIN EN-Normen

Aus: "Berliner-Appell" des Deutschen Spiegelausschusses zu CEN/TC 346 vom 26.1.2011


Wie funktioniert dies auf europäischer Ebene?

Die europäische Normungsarbeit ruht auf zwei Säulen: Dem Europäische Komitee für Normung (Abk. CEN; frz.: Comité Européen de Normalisation) in Brüssel und seinem nationalen "Gegeninstitut" in Deutschlang, dem DIN (Deutsches Institut für Normung) in Berlin. Normungsinstitute sind private Organisationen, zum Beispiel ist das DIN ein eingetragener Verein.




Abbildung 2: Mitarbeit in europäischen und internationalen Normungsgremien, © DIN 2007


Wenn CEN ein Normengebiet als normwürdig anerkennt, wird dort ein technisches Komitee eingerichtet. Die Mitglieder von CEN (30 europäische Staaten) können sich über ihre nationalen Normungsinstitute daran beteiligen, müssen das aber nicht. Allerdings müssen später alle CEN-Mitglieder die Norm übernehmen, unabhängig davon, ob sie daran mitgearbeitet haben oder nicht.

Wenn CEN-Mitglieder an einer Mitarbeit interessiert sind, richten sie i. d. R. einen Spiegelausschuss ein. In diesem sind möglichst alle interessierten Kreise vertreten, die von dem Normgegenstand betroffen sein können. Am DIN soll ein Spiegelausschuss insgesamt maximal 21 Personen umfassen.

Aufgrund einer Initiative aus Italien wurde 2004 ein Technisches Komitee eingerichtet mit dem Titel "Conservation of Cultural Property" (CEN/TC 346). Am DIN gibt es einen DIN Spiegelausschuss zu CEN/TC 346. Die dort vertretenen Kreise sind in der folgenden Abbildung aufgelistet:




Abbildung 3: Zusammensetzung und Finanzierung des deutschen
Spiegelausschusses zu CEN/TC 346, © DIN 2007/Götz 2011




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Arbeitsschritte in der Europäischen Normung

Die Arbeitsschritte in der Erarbeitung einer Europäischen Norm sind umfangreich, weil Normen auf einem möglichst breiten Konsens basieren sollen, um eine möglichst große Akzeptanz zu erzielen: Normen sind eine Selbstverpflichtung, die nur funktioniert, wenn alle von der Norm betroffenen Kreise dem Norminhalt zustimmen. Normen entstehen in einem Hoch-Konsensverfahren.

Der Vorlauf von der Identifizierung eines potentiellen Normungsgegenstandes (Work Item) über die offiziellen Annahme bei CEN/TC 346 bis zur Verabschiedung als Norm in der Schlussabstimmung darf nicht länger als drei Jahre dauern. Das führt dazu, dass EN Normen meistens einen Minimal-Konsens darstellen.




Abbildung 4: Entstehung von europäischen Normen, © 2007 DIN


Entscheidend ist der in der Grafik gelb hinterlegte Schritt, der zwischen der öffentlichen Umfrage über den ersten veröffentlichten Normentwurf (prEN) und der Veröffentlichung der Umfrageergebnisse auf europäischer Ebene liegt. Hier ist die nationalstaatliche Einwirkung möglich und ausdrücklich erwünscht.

Jeder kann einsprechen, wenn die Einspruchsfrist eingehalten und das entsprechende Formblatt verwendet wird. Die Einsprüche werden gesammelt und im Spiegelausschuss in einer Einspruchssitzung zu der jeweiligen Norm verhandelt. Jeder einzelne Einspruch muss entschieden werden. Das Ergebnis wird in einer Einspruchstabelle zusammengefasst und als nationale Stellungnahme über das DIN bei CEN/TC 346 abgegeben. Diese Einspruchstabellen umfassen manchmal 10 Seiten, bei besonders strittigen Normierungsthemen können aber auch bis zu 180 Seiten zusammen kommen. Da bis zu 30 europäische Länder teilnehmen, müssen bis zu 30 nationale Stellungnahmen von CEN/TC 346 in einer europäischen Einspruchssitzung verarbeitet und entschieden werden. Allerdings sind nicht alle CEN-Mitglieder bei CEN/TC 346 aktiv. Nach der europäischen Einspruchssitzung wird ein Schlussentwurf erstellt und zur Endabstimmung gestellt.

Bei der Normerarbeitung kommt es zu mehreren Übersetzungsschritten: die prEN wird auf englisch erarbeitet, dann auf deutsch übersetzt, wobei die Experten mit der Übersetzung ebenso zufrieden sein müssen (Experten-Deutsch), wie die formalen Anforderungen an eine Norm erfüllt sein müssen (DIN-Deutsch). Die Einsprüche werden auf Deutsch verhandelt und dann englisch übersetzt. Die europäische Einspruchssitzung wird auf Englisch geführt. Die fertige Norm wird in der englischen Fassung ans DIN geschickt und muss dort wieder als deutsche Fassung rückübersetzt werden. Häufig sind bei den europäischen Verhandlungen Experten beteiligt, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Es liegt auf der Hand, dass bei diesem komplexen Verfahren Übersetzungsfehler vorkommen und dass es sehr schwierig ist, eine konsensfähige deutsche Normenfassung zu erarbeiten.




Abbildung 5: Übersetzungsschritte bei der Normerarbeitung, © DIN 2007/Götz 2011


Die Stimmengewichte der Länder bei der Schlussabstimmung:




Abbildung 6: Entstehung von europäischen Normen, Stimmengewichte der Länder, © DIN 2007


Auf europäischer Ebene sind die CEN-Mitgliedsländer gemäß ihres Bruttosozialproduktes unterschiedlich schwer gewichtet: Deutschland verfügt zum Beispiel über 29 Stimmanteile, Malta dagegen nur über drei. Die Annahme einer Europäischen Norm (EN) erfolgt, wenn mindestens 71 % der gewichteten abgegebenen Stimmenanteile Ja-Stimmen sind. Umgekehrt bedeutet das, dass 106 Stimmanteile genügen, um eine Norm endgültig abzulehnen.


Die Struktur der CEN/TC 346 ist hier abgebildet:




Abbildung 7: CEN/TC 346 – Struktur, © Götz 2011


Daten und Fakten zur CEN/TC 346:

2004 Gründung
Ziele: Normen für die Konservierung
Gegenstand: materielles Kulturerbe
Veröffentlichung: nationale Normen in Europa
geplant: internationale Normen




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Arbeitsgruppen

Der DIN Spiegelausschuss zu CEN/TC 346 besteht aus 21 Mitgliedern, die sich in den 5 europäischen Arbeitsgruppen engagieren. Die Themen dieser Arbeitsgruppen sind jeweils in den folgenden Abbildungen zusammengefasst.

Arbeitsgruppe 1: Allgemeine Richtlinie und Terminologie.




Abbildung 8: Arbeitsgruppe 1, © Götz 2011


In dieser Arbeitsgruppe wurden bisher 3 Normvorentwürfe (prEN) vorgelegt. Die prEN 15898 betrifft die gesamte Terminologie der Konservierung und ihres Umfelds. Die beiden anderen Normvorentwürfe befassen sich mit der Bestandserfassung. Die prEN 15898 wird aktuell als EN 15898 als gültige Norm veröffentlicht (Stand November 2011).


Arbeitsgruppe 2: Materialien, aus denen das kulturelle Erbe besteht.




Abbildung 9: Arbeitsgruppe 2, © Götz 2011


Hier wurde bisher ein Norm-Entwurf zur Methodologie der Probennahme geschaffen, darüber hinaus sind derzeit 4 weitere Themen in Bearbeitung.

Arbeitsgruppe 3: Bewertung von Methoden und Produkten. Hier wurden bereits 4 Normen verabschiedet, die sehr spezielle Themen behandeln.




Abbildung 10: Arbeitsgruppe 3, © Götz 2011


Arbeitsgruppe 4 befasst sich mit dem Thema Umwelt und kulturelles Erbe. Sie ist eine der aktivsten Arbeitsgruppen mit 12 Untergruppen.




Abbildung 11: Arbeitsgruppe 4, © Götz 2011


Hier wurden bisher 2 Normen und 4 Normvorentwürfe fertiggestellt.

In der prEN 14163 geht es um die Beleuchtung von Kulturgütern in der Ausstellung. Dieser Entwurf wurde wegen inhaltlichen Überschneidungen mit einem anderen CEN/TC in der deutschen Einspruchssitzung abgelehnt. Inzwischen wurde der Entwurf zurückgezogen und soll in einer sogenannten Joint Working Group mit dem CEN/TC 169 gemeinsam neu erarbeitet werden. Dafür wurde eigens die neue Arbeitsgruppe 6 gegründet (Stand November 2011).

In der Arbeitsgruppe 4 sind noch weitere 6 Themen in der "Warteschleife":




Abbildung 12: Arbeitsgruppe 4, Themen in der Warteschleife, © Götz 2011


In der Arbeitsgruppe 5 geht es um Transport und Verpackung des kulturellen Erbes. Die Packmethoden sind bereits fertig gestellt und als EN 15946 veröffentlicht (Stand November 2011). Das Thema Transportmethoden befindet sich noch in der Vorbereitungsphase.




Abbildung 13: Arbeitsgruppe 5, © Götz 2011


Übersicht über alle bisher publizierten Normen (Stand November 2011):


EN 15801: 2010 Conservation of cultural property – Test methods – Determination of water adsorption by capillarity
EN 15802: 2010 Conservation of cultural property – Test methods – Determination of static contact angle
EN 15803: 2010 Conservation of cultural property – Test methods – Determination of water vapor permeability (δp)
EN 15886: 2010 Conservation of cultural property – Test methods – Colour measurement of surfaces
EN 15757: 2010 Conservation of cultural property – Specifications for temperature and relative humidity to limit climate-induced machanical damage in organic hygroscopic materials
EN 15758: 2010 Conservation of cultural property – Procedures and instruments for measuring temperatures of the air and the surfaces of objects
EN 15946: 2011 Conservation of cultural property – Packing principles for transport
EN 15898: 2011 Conservation of cultural property – Main general terms and definitions
EN 15759-1: 2010 (December) Conservation of cultural property – Indoor climate – Part 1: Guidelines for heating churches, chapels and other places of worship


Alle veröffentlichten Normen müssen nach spätestens 5 Jahren überprüft werden.



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Verschiedenes

Liaison-Status

Verschiedene Institutionen haben einen Liaison-Status bei CEN/TC 346. Zum einen sind das andere CEN/TC’s sowie diverse Fachorganisationen. Der Liaison-Status bedeutet, dass Informationen von CEN/TC 346 an diese Interessenten weiter gegeben werden, ein Stimmrecht in CEN/TC 346 ist mit diesem Status aber nicht verbunden.


Liaison-Status* bei CEN/TC 346  (*Information, kein Stimmrecht)

CEN/TC 246 Naturstein
ICOM-CC – International Council of Museums
IIC – International Institute for Conservation
ECCO – European Confederation of Conservator-Restorers‘ Organisations
IFLA – International Federation of Library Associations and Institutions
ICOMOS – International Council on Monuments and Sites


Zwischenbilanz

Folgende Zwischenbilanz kann über die Arbeit von CEN/*TC 346 und des deutschen Spiegelausschusses gezogen werden:

Das Thema Erhaltung des kulturellen Erbes ist insgesamt ein sehr umfassendes und entsprechend komplexes Normgebiet, bei dem weitaus mehr Expertenwissen benötigt wird, als die momentan aktiven 21 deutschen Experten aufbringen können.
Die thematisch eng gefassten Mess- oder Prüfmethoden können relativ eindeutig als Norm beschrieben werden. Dagegen konnte das Thema "Kirchenheizungsrichtlinie" nur mit großer Mühe als Norm gefasst werden, weil alleine schon die großen klimatischen Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa eine einheitliche Norm erschweren.
Mit der EN 15898 zur Terminologie wurde eine sehr wichtige Norm erarbeitet, weil sie als sogenannte Horizontalnorm als Querverweis in allen andern Normen von CEN7TC 346 vorkommt.
In der Arbeitsgruppe 5 (Transport und Verpackung) werden Normen erarbeitet, denen eine große ökonomische Bedeutung für den Leihverkehr zwischen den europäischen Sammlungen zukommt.


Befürchtungen und Kritik

Über die Auswirkungen der Arbeit von CEN/TC 346 wird die Befürchtung geäußert, dass Normentwürfe an der Praxis vorbei entwickelt werden könnten und das Thema Erhaltung des "kulturellen Erbes" grundsätzlich nicht normierbar sei.

Intern wird kritisiert, dass die Normenarbeit ohne erkennbaren roten Faden erfolge und CEN/TC 346 zu wenig vernetzt sei mit anderen CEN/TC’s, woraus Doppelarbeit resultiere. Deshalb wurde die Überarbeitung des Businessplans von CEN/TC 346 auf dem jährlichen Plenary Meeting von CEN/TC 346 in Kopenhagen am 8.4.2011 beschlossen.


Kontakt

Siglinde Acker, Projekt- und Gremienbetreuerin
Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN), Berlin
siglinde.acker@din.de
Kornelius Goetz M.A., Obmann
Büro für Restaurierungsberatung, Meitingen
goetz@restaurierungsberatung.de
Dr. Irmhild Schäfer, Stellv. Obfrau
Bayerische Staatsbibliothek, München
irmhild.schaefer@bsb-muenchen.de




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