Ablauf der Selbsterhitzungsvorgänge restölhaltiger Futtermittel pflanzlichen und tierischen Ursprungs [English version]

– von Kapt. R. Becker, Hamburg 1996 –



10° bis 35°C

Produkt kommt mit Temperatur der Außenluft des Hafens an Bord oder mit höherer Temperatur, weil das Produkt nach der Öl- und Stärkeextraktion nicht auf die Temperatur der Außenluft abgekühlt worden ist.

In tropischen Häfen können bei den zu ladenden Produkten Temperaturen von 25° bis 55°C auftreten. Bei einem inneren Feuchtigkeitsgehalt des Produktes, der die Gleichgewichtsfeuchte des Produktes zu einer äußeren relativen Luftfeuchte von 75% übersteigt, muss mit Wärme und Feuchtigkeit erzeugenden Lebensaktivitäten (Ernährung und Vermehrung) von Mikroorganismen gerechnet werden. An den Oberflächen kann Schimmelbildung sichtbar werden.

Bei allen organischen Gütern begünstigt eine relative Feuchtigkeit von 75% den Beginn der Lebensaktivitäten der Mikroorganismen, weil dann deren Nahrung für die Aufnahme durch die Zellwände der Mikroorganismen in genügend in Wasser gelöster Form zur Verfügung steht.

Lebensaktivitäten der Mikroorganismen im Temperaturbereich von 15° bis 45°C können zum Verderb des Produktes durch Fäulnis, Gärung oder Verwesung führen. Der Verderb tritt bei diesen Temperaturen nicht durch die dabei erzeugte Wärme ein. Begünstigt wird der Verderb durch das durch die Aktivitäten der Mikroorganismen frei werdende Wasser.

30° bis 40°C

Die beginnenden Lebensaktivitäten der Mikroorganismen laufen am heftigsten ab. (Biologische Aktivität mit Feuchtigkeitsabgabe).

ab ca. 40°C

Zusätzlich zu den Lebensaktivitäten der Mikroorganismen setzt, begünstigt durch die frei werdende Wärme im Zusammenhang mit der Mikroorganismentätigkeit, in den restölhaltigen Futtermitteln Oxidation ihrer ungesättigten Fettsäuren ein, was, wie jeder Oxidationsvorgang, mit Wärmeentwicklung verbunden ist. (Chemische Oxidation).

ab ca. 45°C

Starke Temperatursteigerung aus der Kombination der Lebensvorgänge der Mikroorganismen und beginnender chemischer Oxidationsvorgänge der ungesättigten Fettsäuren.

49°C

Noch kein großer Qualitätsabfall im Produkt. Als erstes werden die Proteine in ihrem Nährwert geschädigt. Beginnende bräunliche Verfärbung des Produktes.

ab 55°C

Kritische Temperatur. Laufende Temperaturkontrollen erforderlich. Bleibt die Temperatur konstant, besteht keine Gefahr weiteren Verderbs durch Erwärmung. Im vollgestauten Laderaum des Schiffes besteht keine Möglichkeit für die Abkühlung des Staus der Ladung auf der Reise, außer an der Oberfläche durch Ventilation. Zur Vermeidung von Feuchtigkeitsschäden an der Oberfläche der Ladung darf nicht mit kalter Außenluft ventiliert werden. Ventilation muss auf Abluft geschaltet werden.

Steigt jedoch die Temperatur des Gutes weiter an, besteht die Gefahr des Temperaturanstiegs auf die hohen Selbsterhitzungstemperaturen von 75°, 80° oder maximal 90°C an.

Ladung kann sich selbst nicht mehr überlassen bleiben.

Luftzutritt von außen in den erhitzten Laderaum muss jetzt durch Abdichten unterbunden werden.

Selbsterhitzungsvorgang zeigt sich nach außen durch Austritt von weißem Wasserdampf aus dem erhitzten Laderaum an. Später dunklere Verfärbung mit Auftreten eines essigsauren "Brandgeruchs".

Mit abgedichteten Lukenöffnungen und sonstigen Lufteintrittsöffnungen zu dem Laderaum mit selbsterhitzter Ware braucht kein Nothafen zum Löschen der erhitzten Ladung angelaufen zu werden.

Die Bestimmungshäfen der Ladung im Schiff können in der vorgesehenen Reihenfolge angelaufen werden, auch dann, wenn die erhitzte Ladung für den letzten Ladungslöschhafen bestimmt ist.

Im allgemeinen haben sich bei solchen Selbsterhitzungsfällen im Ladungsstau einzelne Wärmenester gebildet. Alle restölhaltigen pflanzlichen oder tierischen Produkte sind schlechte Wärmeleiter mit schlechter Wärmeabfuhr nach oben. Jede Erwärmung eines organischen Produktes ist mit Wasserabgabe und Herabsetzung des Feuchtigkeitsgehaltes der Ware verbunden. Die abgegebene Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf steigt in der Ladung nach oben. Im Luftraum zwischen Lukenabdeckung/Wetterdeck und Ladungsoberfläche kondensiert der Wasserdampf und bildet als Dampf bzw. Wasser über der Ladung ein Polster als Feuerlöschmittel.

55° bis 85°

Kritischer Erwärmungsbereich für die Ware

ab ca. 75°C

Nach vorausgegangener Überlappung biologischer und chemischer Wärmeentwicklung, kommt es zum Absterben der Mikroorganismen und ihrer Lebenstätigkeiten. Der mikrobielle Verderb der Ware wird gestoppt. Es kommt zu keinen weiteren Temperaturanstiegen über 90°C (längerer vorübergehender Stillstand).

Vorausgegangene erhebliche Verdampfung aus der trockener gewordenen Ware hemmt vorübergehend den Ablauf der schon beginnenden chemischen Oxidation.

Nach Absterben der Mikroorganismen durch die Einwirkung der Wärme bleibt das entstandene Wärmepotential mit seiner Wärmeenergie weiter erhalten und wirkt umwandlungsfördernd auf das Gut ein. Die Ware nimmt eine dunkelbraune Färbung an.

Nach vorübergehendem Stillstand setzt unter weiterer Erwärmung ein sich verstärkender Ablauf chemischer Reaktionen in der Ware ein.

ab 90°C

Sichtbare Abgabe von weißem Wasserdampf aus der Ladung durch verbliebene Öffnungen im Luken-, Ventilations- und Einstiegsbereich. Durch die stärker bemerkbar werdenden Auswirkungen der Erhitzung der Ladung entsteht an Bord leicht der irrtümliche Eindruck, dass es im Laderaum "brennt". Durch den ebenfalls auftretenden "Brandgeruch", eines unangenehmen Geruchs, wird der Eindruck eines Brandes im Laderaum verstärkt.

Mit der verstärkt einsetzenden Wasserdampfabgabe aus der Ware ist ein vorübergehender, längerer Stillstand des Temperaturanstiegs verbunden. Die Ware selbst wird durch die Feuchtigkeitsabgabe trockener. Im Laderaum kommt in der Ladung und bei eventuellem Stauholz eine trockene Destillation (o. Brenzen, Pyrolyse = chemische Zersetzung von festen Stoffen durch Erhitzung) unter Luftabschluss bzw. unter vermindertem Sauerstoffzutritt zustande.

Organische Ware (Holz, Jutesäcke) verfärbt sich schwarz (Verkohlung), ohne einen Brand in der Ladung.

Ist vorher im Oberflächenbereich der Ware kein Verderb durch zu hohe Feuchtigkeit (Schimmelbildung) eingetreten, beobachtet man bei der Öffnung der Lukenabdeckung im Oberflächenbereich der Ladung gesund wirkende Ware in Geruch und Farbe.

ab 100° bis etwa 150°C

Unangenehmer, stechender Geruch dringt nach außen als Folge der Zersetzung von Eiweiß. Die Verfärbung des Wasserdampfes setzt ein. Mit dem Beginn der Erhitzung organischer Güter werden ab ca. 80°C farblose flüchtige Gase mit einer Entzündungstemperatur ab ca. 60°C an der Oberfläche frei. Bei genügender Konzentration können sich diese Gase, die eine sehr niedrige Selbstentzündungstemperatur haben, entzünden und an der Oberfläche der Ware als kleine bläuliche Flämmchen brennen. Ihre Energie ist aber so gering, dass sie nicht zur Entzündung der Ware führen. Die Flämmchen treten nach dem Öffnen der Lukenabdeckung und der damit verbundenen Zufuhr von Sauerstoff auf. Die entstehenden Gase sind ein Produkt des trockenen Destillationsvorgangs (o. Brenzen, Pyrolyse = chemische Zersetzung von festen Stoffen durch Erhitzung) in der Ware. An der Oberfläche der Ladung kann es zum Glimmen feiner Teilchen der Ladung kommen. Aber auch hier reicht die Zündenergie des "Glimmbrandes" nicht aus, um die Ware insgesamt in Brand zu setzen, auch nicht bei Ware mit Rohfaseranteil. Treten Flämmchen oder Glimmen während des Löschens der Ladung auf, schmeißt man einen Greifer voll Ladung auf die glimmende Ladung, insbesondere bei Ladung mit Rohfaseranteil, so dass die Flämmchen ersticken.

ab 150°C bis ca. 200°C

Starke Abgabe von Gasen, verstärkte Rauchbildung als Folge der fortschreitenden trockenen Destillation. Stark fortschreitende chemische Vorgänge in der Ladung. Erhebliche Nährwerteinbußen.

ab ca. 230°C

Häufiger örtliches Glimmen auf der Warenoberfläche bei Zutritt von Sauerstoff aus der Luft. Die Selbstentzündungstemperatur von Rohfaser wird erreicht sowie von Staubteilen der Ware auf ihrer Oberfläche. Die glimmenden Flächen können entweder durch Überwerfen mit anderer Ware aus dem Greifer oder durch Besprühen mit Wasser mit Hilfe eines Schlauches mit Sprühstrahl abgelöscht werden.

Beim Löschen mit Wasser möglichst Hafenwasser vermeiden, wenn ein Feuerlöschanschluss zur Verfügung steht, da das Hafenwasser häufig mit Salmonellen und Kolibakterien verseucht ist.

Außerdem kann es zur weiteren Verkohlung der Ware und anderer organischer Teile, wie z.B. Stauholz, durch vor sich gehende, aber auslaufende trockene Destillation (o. Brenzen, Pyrolyse = chemische Zersetzung von festen Stoffen durch Erhitzung) kommen.

ab 250°C

Neben einem schon bestehenden üblen Rauchgeruch, der sich in die Kleidung setzt, tritt ein Verkohlungsgeruch auf.

ab ca. 280°C

Bei Temperaturen über 250°C und besonders ab 280°C muss mit dem Erreichen der Selbstentzündungstemperatur der Warenstäube gerechnet werden. Beim Seetransport organischer Futtermittel ist dies jedoch selten der Fall, da der Erhitzungsstillstand bei ca. 90°C längere Zeit anhält.

ab ca. 330°C

Mit dem Erreichen der Selbstentzündungstemperatur der Ware muss gerechnet werden. Beim Seetransport organischer Futtermittel ist dies jedoch selten der Fall, da der Erhitzungsstillstand bei ca. 90°C längere Zeit andauert.

Mit der Selbstentzündung brennt die Ware unter Flammenbildung. Bei geöffnetem Laderaum kann es zur Ausbreitung eines offenen Brandes kommen. In der Praxis ist dies auf See ein sehr seltener Vorgang und bei gut abgedichteten Zuluftöffnungen der Laderäume kaum denkbar.

Wo Ware wirklich verbrennt, bleibt Asche zurück. Nur das Auftreten von Asche ist ein untrüglicher Beweis dafür, dass Ware oder andere Gegenstände gebrannt haben.

Bei der Öffnung vorher gut geschlossen gehaltenen Laderäumen entweicht bei Temperaturen im Laderaum über 150°C eine starke, weiß gefärbte Wasserdampfwolke.


Von Kapitän Becker sind bisher in erhitzten Futtermittelladungen Temperaturen bis 160°C gemessen worden. Regelmäßig werden in erhitzten restölhaltigen Futtermitteln Temperaturen bis ca. 90° angetroffen.

Die von Kapitän Becker an Bord auf der Ladungsoberfläche gemessenen Flammentemperaturen lagen unter 230°C. Temperaturen von Flämmchen verbrennender flüchtiger Gase konnten von Kapitän Becker bisher nicht gemessen werden, da die Flämmchen schnell vergänglich sind und nicht konstant brennen.

Die Flämmchen brennender leichtflüchtiger Gase haben eine helle Farbe. Ihr Brennen auf der Ladungsoberfläche gleicht einem Abfackeln der Gase.

Selbsterhitzte Futtermittel mit Temperaturen um 90°C in einem möglichst luftdicht abgeschlossenen  Laderaum sind noch nicht als kritisch zu betrachten. Es gibt in der Ladung keine Brandnester, die abgespritzt werden müssen. Mit Wasser müssen nur solche Futtermittelladungen intensiv gelöscht werden, bei denen es ausnahmsweise bei Temperaturen von über 280°C zu einer echten Selbstentzündung der Ware gekommen ist.

Bei Selbsterhitzungserscheinungen in einem Laderaum müssen vor der Öffnung seiner Lukenabdeckung sorgfältig die Temperaturen im Bereich der Laderaumschotten der angrenzenden Laderäume gemessen werden. Im Deckbereich des Laderaums mit erhitzter Ladung müssen die Temperaturen der Stahlkonstruktionen unter Kontrolle gehalten werden. Um Temperaturen im Laderaum unterhalb eines erwärmten Teils des Wetterdecks zu messen, müssen für die Einführung der Thermometer geeignete Löcher in die Wetterdecksplatten gebohrt werden, die nach der Temperaturmessung mit Holzpfropfen dicht gesetzt werden müssen. Besteht die Möglichkeit, Temperaturen in Einstiegsöffnungen der Laderäume zu messen, muss davon Gebrauch gemacht werden. Die Temperaturmessungen müssen sorgfältig und mehrmals wiederholt ausgeführt und notiert werden.

Das Öffnen der Wetterdecklukenabdeckung darf erst erfolgen, wenn

unter Wasserdruck stehende Feuerlöschschläuche an Deck bereit liegen,
Schaumfeuerlöschgerät bereit gehalten werden,
durch Temperaturmessungen ein Überblick über die Verteilung der Temperaturen im Laderaumbereich gewonnen worden ist.


Laderäume mit selbsterhitzter Ladung dürfen nie von unten geflutet werden. Hohe Wassermengen im Laderaum beeinträchtigen die Stabilität des Schiffes. In erhitzte Futtermittelladung nie mit Hochdruckfeuerlöschstrahl spritzen. Die Aufwirbelung erhitzter Ware muss unterbleiben.

Nie von Deck aus auf selbsterhitzte Ware springen, um die Temperaturen zu messen, da die Gefahr des Einsackens in Hohlräume der Ware unter ihre Oberfläche besteht.


Erhitzung restölhaltiger Ware ohne vorausgegangene Selbsterhitzung

Durch z.B. ein auf der Laderaumseite nicht oder nur schlecht isoliertes Maschinenraumschott, dessen Maschinenraumseite Teil eines während der Reise auf 60°C aufgeheizten Schweröltanks ist, kann es zur Fremderhitzung des restölhaltigen Futtermittels auf über 60°C kommen mit nachfolgendem Beginn der chemischen Selbsterhitzungsvorgänge im Futtermittel.

Dieselbe Wirkung kann während der Reise von einer nicht ausgeschalteten Laderaumdeckbeleuchtung ausgehen, wenn die Ladung zu nahe an der Lichtquelle gestaut wird.


Geräte zum Löschen und zur Abfuhr erhitzter Futtermittel

Die Ladung kann mit Hilfe von Stahlgreifern gelöscht werden, die für die Betätigung der Stahlgreifer eine Ketten- oder Seilzugbedienung haben. Über Hydraulikleitungen aktivierte Greifer sind ungeeignet, da die Hydraulikleitungen die höheren Temperaturen selbsterhitzter Ware nicht schadlos überstehen. Die erhitzte Ladung aus dem Schiff kann gelöscht werden in:

Schuten aus Stahl ohne Holzböden, da Verkohlungsgefahr,
LKW mit Stahlkippgefäßen,
erhitzte Ladung zum Abkühlen auf ein Freigelände im Hafen bringen. Die erhitzte Ladung braucht zur Abkühlung nicht abgespritzt zu werden.



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