VI Beispielsfälle zur Haftungsverteilung zwischen Reeder und Charterer


1. Beispielsfall aus Deutschland

2. Beispielsfall aus England



1. Beispielsfall aus Deutschland

Nachdem nun das zugrundeliegende rechtliche Prinzipen eingehend dargestellt wurde, nun abschließend ein Beispiel, an dem die rechtlichen Probleme, Gestaltungsmöglichkeiten und Fallstricke recht deutlich werden.



Der Reeder, gleichzeitig die spätere Klägerin, vercharterte ein Schiff an die spätere Beklagte. Die Charter basierte auf einem New York Produce Exchange Formular von 1946, auch bekannt als NYPE 46. Der Chartervertrag enthielt eine Klausel nach der es Aufgabe des Charterers war, "to load, lash, tally, secure, stow and trim … the cargo at their expense under the supervision of the captain."



Der Charterer wiederum ging einen Reisefrachtvertrag über die Beförderung von Anodenblöcken mit einem Gewicht von je über 2 Tonnen ein. Insgesamt wurden über 2.300 dieser Blöcke in das Schiff verladen. Dementsprechend hatte der Charterer, also die spätere Beklagte, einen vorläufigen Stauplan entworfen, nach dem ein Großteil der Anodenblöcke auf dem Tanktop, also dem „Boden“ des Laderaums gestaut werden sollte. Lediglich eine kleine Anzahl der Blöcke sollte an das Bug- bzw. Heckende des Zwischendecks gestaut werden. Während der Beladung des Schiffes wurde dieser Stauplan jedoch abgeändert und ein wesentlicher Teil der Anodenblöcke auf die Pontons im Zwischendeck gestaut. Schon während der Stauung zeigte sich, daß sich die Pontons 10-15 cm durchbogen.






Wenig überraschend kam es auf der dann durchgeführten Reise dazu, daß das Zwischendeck teilweise zusammenbrach und die Ladung im wesentlichen Umfang beschädigt wurde. Der Empfänger der Ladung ging aufgrund des Ladungsschadens gegen den Reeder vor und wurde von diesem mit US-$ 90.000 entschädigt. Der wirkliche Streit entbrannte danach zwischen Eigner und Charterer über die Frage, ob der Charterer verpflichtet sei, diesen Betrag wiederum den Eignern zu ersetzen.




Unstreitig war in dieser Konstellation, daß das Schiff aufgrund der Überladung des Zwischendecks seeuntüchtig war. Es stellte sich allerdings die Frage, ob aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung im Chartervertrag dennoch der Charterer haften solle.

Doch zurück zum Fall: Wie in dieser Konstellation nicht anders zu erwarten, gab es einen längeren Streit darüber, wer die Änderung des ursprünglichen Stauplanes angeordnet hatte. Vergleichsweise unstreitig war die Tatsache, daß der 1. Offizier Anweisungen bezüglich der Stauung gab.



An dieser Stelle muß eine weitere Klausel des Chartervertrages erwähnt werden, die da lautet "All works / labor mentioned in above clause done by the crew to be performed as charterers servants". Diese dort erwähnten Arbeiten sind solche, die gemäß der schon zitierten Klausel 8 zum Pflichtenkreis des Charterers gehören, also stowing, lashing etc. Daraus folgerte das Schiedsgericht, daß wenn die fehlerhafte Ladung bzw. Stauung auf Anweisung des 1. Offiziers geschah und dieser insoweit als Gehilfe der Charterer auftrat, die Fehlstauung zu Lasten des Charterers gehe.

Inter-Club Agreement 1996
(8) Cargo claims shall be apportioned as follows:
(a) Claims in fact arising out of unseaworthiness and/or error or fault in navigation or management of the vessel:
100% Owners
save where the Owner proves that the unseaworthiness was caused by the loading, stowage, lashing, discharge or other handling of the cargo, in which case the claim shall be apportioned under sub-Clause (b).
(b) Claims in fact arising out of the loading, stowage, lashing, discharge, storage or other handling of cargo:
100% Charterers
unless the words "and responsibility" are added in Clause 8 or there is a similar amendment making the Master responsible for cargo handling in which case:
50% Charterers
50% Owners
save where the Charterer proves that the failure properly to load, stow, lash, discharge or handle the cargo was caused by the unseaworthiness of the vessel in which case:
100% Owners


Als Ergebnis bleibt also festzuhalten, daß in diesem Fall die Charterer diese mit Haftung für die Ladungsuntüchtigkeit aufgrund der Stauung tragen mußten. Und das trotz der Verpflichtung des Kapitäns für die Seetüchtigkeit des Schiffes zu sorgen.



Zurück zum Anfang




2. Beispielsfall aus England

Ein ähnlich gelagerter Fall wurde im Jahr 2006 vor dem Commercial Court in London entschieden. Folgender Sachverhalt:

Auf das Schiff wurde ein Container mit Calcium-Hypochlorid verladen. Diese Chemikalie wird zur Herstellung von Bleichpulver als Desinfektionsmittel für Schwimmbäder und zur Trinkwasseraufbereitung verwandt. Die Gefährlichkeit besteht darin, daß dieser Stoff bei höheren Temperaturen mit sich selbst reagieren kann. Sie wird schon bei Temperaturen wie sie in den Tropen herrschen können, instabil und kann dann Feuer fangen bzw. explodieren. In dem Fall vor englischen Gerichten war ein Container mit dieser Chemikalie neben bzw. auf einen Bunkertanker gestellt worden. In diesem Bunkertanker befand sich der Treibstoff des Schiffes. Da Schiffe vergleichsweise billige Treibstoffe verwenden, müssen diese, damit sie ausreichend flüssig sind, erhitzt werden. Und im vorliegenden Fall gab es Anzeichen dafür, daß die Erhitzung des Treibstoffs die Chemikalie in dem Container soweit erhitzte, daß diese explodierte. Der dadurch entstandene Schaden belief sich auf über USD 60 Mio.

Auch in diesem Fall war zwischen dem Reeder und dem Charterer eine NYPE 46 geschlossen worden und wiederum hieß es in Klausel 8, daß es Aufgabe des Charterers war „to load, stow, lash, secure unlash trim and discharge and tally the cargo at their expense under the supervision of the master“. Das englische Gericht ging davon aus, daß aufgrund dieser Klausel 8 die Verantwortung für die Stauung vom Eigner auf die Charterer überging.

Von dieser grundsätzlichen Annahme gibt es jedoch zwei Ausnahmen. Erstens, wenn der Kapitän tatsächlich die Stauung überwacht hat und der Verlust auf diese Überwachung zurückzuführen ist. Zweitens, wenn der Verlust auf Eigenarten des Schiffes zurückzuführen ist, von dem der Kapitän wußte oder hätte wissen müssen, die dem Charterer allerdings unbekannt war, beispielsweise besondere Eigenschaften in der Stabilität des Schiffes.

Da aber keine dieser Ausnahmen im vorliegenden Fall eingriff, argumentierte der Charterer, ähnlich wie schon in dem deutschen Fall, daß es eine Verpflichtung des Eigners und damit des Kapitäns gäbe, einzuschreiten, wenn schlechte Stauung das Schiff seeuntüchtig macht. In so einem Falle hätte der Kapitän die Verpflichtung, die Stauung zu ändern, um so die Seeuntüchtigkeit zu beheben. Das englische Gericht ist diesem Argument allerdings nicht gefolgt. Das Gericht war der Ansicht, daß dies darauf hinausliefe, daß der Charterer hafte, wenn er die Stauung so mangelhaft durchführt, daß er die eigene und fremde Ladung in Gefahr bringt. Er selbst aber nicht hafte, sollte er die Stauung so schlecht durchführen, daß das Schiff selbst in Gefahr gerät. In solch einem Falle müßte plötzlich der Eigner haften. Dies sei ein nicht zu tolerierendes Ergebnis.

Ein weiteres Argument der Charterer war, daß der Kapitän die Bunkertanks zu weit aufgeheizt habe, so daß es überhaupt erst zu der Explosion kommen konnte. Damit war die Frage angesprochen, ob das Beheizen des Bunkertanks zur Führung des Schiffes oder zur Ladungsfürsorge zählt. Das Gericht geht hier davon aus, daß die Erhitzung des Bunkeröls nicht zur Ladungsfürsorge gehört, sondern zur Steuerung des Schiffes. Daß sich die Erwärmung des Bunkeröls auch auf die Ladung ausgewirkt habe, sei lediglich ein unbeabsichtigter Zufall. Dementsprechend ergab sich auch keine Haftung aus der Ladungsfürsorge.

Sie sehen also, daß es je nach vertraglicher Gestaltung bzw. Interpretation des Vertrages auch dazu kommen kann, daß eben nicht der Reeder für die Ladungsuntüchtigkeit haftet, obwohl dessen 1. Offizier diese jedenfalls mitverursacht hat. Solcherlei Konstellationen und Kombinationen von verschiedenen Vertragsklauseln führen also dazu, daß wenn sie Anwälte danach fragen, ob See- bzw. Ladungsuntüchtigkeit vorliegt und wer für diese Seetüchtigkeit haftet, Anwälte Ihnen sagen werden: "Das kommt darauf an".



Seitenanfang | Inhaltsverzeichnis