Urteil des Monats: Januar 2018
  
"Güterbeschädigung bei der Zollbeschau als Eingriff von hoher Hand?"

OLG Frankfurt: Schäden, welche (lediglich) anlässlich eines behördlichen Handelns (hier: Beschädigung des Gutes durch unzureichende (Wieder-) Verpackung durch Zollbeamte nach Zollbeschau) entstanden sind, unterfallen nicht dem Risikoausschluss eines Eingriffes von hoher Hand nach den Bedingungen der Transportversicherung.

Zum Sachverhalt:

Die klagende Möbelherstellerin verschickte verschiedene Exponate (u.a. einen Teeschrank, einen TV/Hi-Fi-Möbelschrank sowie einen Lounge-Sessel) per Lkw zu einer Möbelmesse nach Moskau. Sie hatte zuvor beim beklagten Versicherer eine Transportversicherung in Form einer Ausstellungsversicherung auf der Grundlage der AVB Ausstellung 1988/Fassung Januar 2008 abgeschlossen. Die Versicherung begann mit dem Hintransport der Exponate nach Moskau.

Die Ausstellungsstücke der Klägerin kamen dann stark beschädigt in Moskau an, da der russische Zoll die Exponate aus den speziell für den Transport angefertigten Kisten herausgenommen und diese anschließend nicht wieder ordentlich verpackt hatte. Die Exponate waren vom russischen Zoll lose in die Transportkisten geschmissen und sodann nur unzureichend verpackt zur Weiterbeförderung verbracht worden.

Der Schaden wurde dem beklagten Versicherer gemeldet. Die beschädigten Exponate wurden von einem Sachverständigen auf Veranlassung der Beklagten besichtigt. Der Sachverständige bezifferte den Schaden mit insgesamt 7.470 €.

Der beklagte Versicherer lehnte eine Einstandspflicht unter Berufung auf den Ausschluss gemäß Ziffer 2.1.3 AVB Ausstellung 1988/Fassung Januar 2008 (= "Ausgeschlossen sind die Gefahren der Beschlagnahme, Entziehung oder sonstiger Eingriffe von hoher Hand", entspricht der Ziff. 2.4.1.3 DTV-Güter 2000/2011), deren drei ausgeschlossene Gefahren auch in Ziff. 3.1.5 des aktuellen "DTV-Ausstellung 2010"-Bedingungen enthalten sind, ab, da die Schäden durch "sonstige Eingriffe von hoher Hand" verursacht worden seien. Der beklagte Versicherer wies in diesem Zusammenhang auch auf eine Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) vom 10.7.1986 - abgedruckt in VersR 1988, 198 - hin.

Nachdem die Klägerin den Beklagten fruchtlos zur Regulierung aufgefordert hatte, erhob sie beim Landgericht Frankfurt Klage.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil abgewiesen und den Ausschluss "Eingriff von hoher Hand" als durchgreifend erachtet.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Berufung vor dem OLG Frankfurt.

Aus den Entscheidungsgründen des OLG Frankfurt:

II)

Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 7.470 € aus der Ausstellungsversicherung wegen Beschädigung der streitgegenständlichen Exponate zu. Die Exponate der Klägerin sind auf dem Transport zur Möbelmesse nach Moskau im November 2011 beschädigt worden. Die Exponate sind unversehrt und ordnungsgemäß verpackt zum Transport übergeben worden und wiesen bei ihrer Ankunft auf dem Messestand in Moskau erhebliche Beschädigungen auf. Auf den Ausschluss eines Eingriffs von hoher Hand kann die Beklagte sich nicht berufen.

Nach Ziffer 1.1. der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Ausstellungsversicherung trägt der Versicherer alle Gefahren, denen das Gut während der Dauer der Versicherung ausgesetzt ist. Es handelt sich insofern um eine Allgefahrenversicherung, die auch das Transportrisiko umfasst. Vorliegend hat sich ein Transportrisiko verwirklicht, da der russische Zoll die Transportkisten geöffnet und nach durchgeführter Zollbeschau die Exponate nicht wieder ordnungsgemäß in den Kisten verstaut, sondern sie lose in diese "hinein geschmissen" hat. Die Beschädigungen an den Möbeln sind entweder bereits beim "Hineinschmeißen" in die Kisten oder aber beim anschließenden Transport zum Messestand der Klägerin entstanden. Unstreitig sind sie jedenfalls nicht im Rahmen der Zollbeschau selbst entstanden, so dass der Ausschluss nach Ziffer 2.1.3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht eingreift.

Nach Ziffer 2.1.3 der Bedingungen sind vom Versicherungsschutz der Allgefahrenversicherung bestimmte Gefahren - wie z.B. die der Beschlagnahme, Entziehung oder sonstiger Eingriffe von hoher Hand - ausgeschlossen, wobei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes den Versicherer trifft. Die Beklagte hat sich insoweit den Vortrag der Klägerin zum losen "Hineinschmeißen" der Exponate in die Transportkisten seitens des russischen Zolls nach durchgeführter Zollbeschau zu Eigen gemacht und sich auf den Ausschluss des Eingriffs von hoher Hand unter Hinweis auf die Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 10.07.1986 - Az. 7 Ob 7/86 (VersR 1988, 198) berufen.

Nach dieser Entscheidung sollen auch Schäden, die durch ein deliktisches Verhalten von Staatsorganen im Zusammenhang mit behördlicher Tätigkeit verursacht werden, unter den Begriff der "Eingriffe von hoher Hand" fallen. Der OGH verweist hinsichtlich der Frage, ob auch deliktisches Verhalten von Organen der Staatsgewalt im Zusammenhang mit einer behördlichen Tätigkeit unter die Ausschlussklausel falle, darauf hin, dass z.B. bei der Amtshaftung danach unterschieden werde, ob die schadensstiftende Tätigkeit noch zur Vollziehung des Gesetzes gehöre oder nur aus ihrem Anlass, aber außerhalb der Erfüllung geschehe. Sofern die Organe der Staatsgewalt die Schäden am Transportgut nicht außerhalb des Verzollungsvorgangs herbeiführten, liege zwar bei der gelegentlichen Beschädigung des Zollguts anlässlich der behördlichen Überprüfung - wie etwa bei einem erforderlichen Ein- oder Ausladen - nicht unbedingt ein typisches Verhalten der Zollbeamten vor, ein solches Verhalten sei aber auch nicht außerhalb jeder menschlicher Erfahrung und im strittigen Grenzverkehr nach dem Vorbringen der Parteien anscheinend nicht selten. Für eine einschränkende Auslegung des Risikoausschlusses - dass nicht jeder adäquate Ursachenzusammenhang, sondern nur typische Folgen der ausgeschlossenen Ursache genügen - sah der OGH keinen Raum.

Ein solchermaßen weites Verständnis der Ausschlussklausel teilt der Senat nicht. Die Auffassung des OGH ist zu Recht auf Kritik gestoßen (vgl. Ehlers, R+S 2002; Enge, Transportversicherung, 4.Aufl., S. 64; Koller, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., Rn. 4). Der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird - zudem bei der gebotenen engen Auslegung von Ausschlüssen - eine lediglich anlässlich von Zollkontrollen eingetretene Beschädigung nicht unter den Begriff des Eingriffs von hoher Hand subsumieren. Der Schaden beruht dann nicht auf einem Hoheitsakt, da er nur bei Gelegenheit einer Zollkontrolle eingetreten ist. Ihm fehlt der hoheitliche Charakter. Der Schaden beruht auf einem schuldhaften Verhalten der Zollbeamten nach abgeschlossener Zollkontrolle.

Da der Schaden vorliegend unstreitig nicht bei der Zollkontrolle selbst eingetreten ist, sondern auf dem nachfolgenden sorgfaltswidrigen Verpackungsvorgang beruht, greift der Einschluss des Eingriffs von hoher Hand mithin nicht ein. Dass die versicherten Exponate bei Aufgabe zum Transport unversehrt und ordnungsgemäß verpackt waren und bei Ankunft auf dem Messestand in Moskau die seitens des Sachverständigen S. begutachteten Schäden aufgewiesen haben, steht nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme fest. [...]

Dass die Möbel jedenfalls beschädigt auf dem Messestand ankamen, hat auch der Zeuge D. bestätigt, der als Mitarbeiter der Streithelferin vor Ort in Moskau auf der Messe war. [...] Nach den Schilderungen des Zeugen D. kommt als Ursache der Beschädigungen aber nur das sorgfaltswidrige Verpacken der Exponate nach der Zollkontrolle in Betracht. Wie er im Einzelnen ausgeführt hat, erfolgt der Transport bis zum Messegelände in einem verplombten LKW; erst auf dem Messegelände selbst findet dann die Zollbeschau statt.

[...]

Auf Leistungsfreiheit wegen angeblicher Obliegenheitsverletzungen kann die Beklagte sich nicht berufen. Die Rechtsfolgen bezüglich der nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten sind nicht an das neue VVG angepasst worden. Nach den vorliegenden Versicherungsbedingungen ist volle Leistungsfreiheit auch bei nur grob fahrlässiger Verletzung von Obliegenheiten vorgesehen, was zur Unwirksamkeit der Regelung gem. § 307 I BGB wegen Abweichung von der halbzwingenden Vorschrift des § 28 II VVG führt (vgl. BGH VersR 2011, 1550; Nugel, in: Staudinger, VVG Komm., 1. Aufl., § 28 VVG Rn. 56 ff.).

§ 210 VVG, wonach bei Großrisiken die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach dem VVG nicht anzuwenden sind, greift bei der vorliegenden Allgefahrenversicherung nicht ein. Zu den Großrisiken gehören zwar auch Transportversicherungen über Güter gemäß Anlage Teil A zum VAG Nr. 7. Bei kombinierten Versicherungen, die sowohl Großrisiken als auch andere Risiken unter einem einheitlichen Bedingungswerk abdecken, findet die Norm des § 210 VVG keine Anwendung (vgl. Krahe, in: Staudinger, a.a.O., § 210 VVG Rn. 6). Dies gilt jedenfalls dann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR 1983, 949), wenn das Gütertransportrisiko typischerweise - wie vorliegend - nicht überwiegt (so auch OLG Hamburg, Urt. v. 26.10.2006 - 6 U 208/05 [= TranspR 2007, 258]).

[...]

Gem. § 543 II ZPO war die Revision zuzulassen. Die Frage der Auslegung der Ausschlussklausel bezüglich des "Eingriffs von hoher Hand" ist von grundsätzlicher Bedeutung. Bisher gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung hierzu.

Fazit:

Das Urteil des OLG Frankfurt führt zum einen zur neuen Erkenntnis, dass eine anlässlich einer Zollkontrolle eingetretene Beschädigung nicht in jedem Fall unter den Begriff des Eingriffs von hoher Hand subsumiert werden kann und ruft zum anderen in Erinnerung, dass bei kombinierten Versicherungen wie der Ausstellungsversicherung, die sowohl Großrisiken (hier: das Güter-Transportrisiko) als auch andere Risiken (hier: alle weiteren Gefahren, denen die Ausstellungsgüter ausgesetzt sind) unter einem einheitlichen Bedingungswerk abdecken, die Norm des § 210 VVG jedenfalls dann keine Anwendung findet, wenn das Güter-Transportrisiko nicht überwiegt. Folge der Nichtanwendbarkeit des § 210 VVG ist u. a., dass sich der Versicherer nur dann auf eine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen berufen kann, wenn die in den Versicherungsbedingungen enthaltene Rechtsfolgenregelung bezüglich der vom Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten den in § 28 VVG 2008 enthaltenen Vorgaben entspricht.

Gericht: OLG Frankfurt, Urteil vom 19.10.2016, Aktenzeichen: 7 U 61/14

Fundstellen: http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de; TranspR 2017, 253 ff.; RdTW 2017, 417 ff.


Das hier besprochene Urteil ist mit folgenden Angaben zu finden:

Aktenzeichen:   7 U 61/14
Datum:   19.10.2016
Quelle(extern):   OLG Frankfurt, Urteil vom 19.10.2016, Aktenzeichen: 7 U 61/14




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