Urteil des Monats: Februar 2014
  
"MÜ – Hott"

Mit dem gerade für das Transportrecht typischen Hin- und Her der wechselseitigen Darlegungs- und Beweislast hat sich der BGH in seiner Entscheidung vom 10.05.2012 beschäftigt.

Der Sachverhalt war relativ überschaubar und unspektakulär: Ein Absender A hatte das Paketdienstunternehmen P mit dem Transport eines Paketes Schmuck beauftragt.

Dabei hatten die Parteien , wie stets in ihrer langjährigen Vertragspartnerschaft, die AGB des P in den Vertrag einbezogen. Darin hieß es sinngemäß, dass die Beförderung per Luftfracht erfolge, soweit nichts anderes vereinbart sei.

Tatsächlich erfolgte der Transport sowohl per Luft als auch über eine beträchtliche Strecke auf der Straße.

Das Paket kam nie an, keiner weiß, wann bzw. wo genau die Ware verschwand. P ersetzte den im Frachtbrief angegebenen Versicherungswert in Höhe von gut 2 % des Warenwertes per Scheck. in dem Begleitschreiben hieß es, dass mit der Einlösung des Schecks alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten seien.

Die restlichen 98 % des Warenwertes ersetzte der Versicherer V und begehrt diese nun von P.

Das gegensätzliche Anliegen der Parteien ist offensichtlich: Während P den Schutz des MÜ suchte, damit seine Haftung iHv von zum damaligen Zeitpunkt 17 SZR pro kg begrenzt war, versuchte V, den Streit „auf die Straße zu verlegen“, um in einem zweiten Schritt das qualifizierte Verschulden des T darzulegen, und schlussendlich den Wegfall der Haftungsbegrenzung zu erreichen.

Tatsächlich fand der P Gehör mit seiner Argumentation, allerdings währte die Freude nur kurz: Im Ergebnis wurde dem Antrag der V entsprochen – wenn auch mit einer anderen Begründung.

Zunächst folgte der BGH der Meinung des P, dass die Parteien auch dann einen einheitlichen Luftbeförderungsvertrag abschließen können, wenn ein nicht unwesentlicher Teil nicht per Luftfracht erfolgt.

Nach Ansicht des  BGH ist es den Parteien nämlich gem. Art. 38 II MÜ grundsätzlich erlaubt, Bedingungen für den Transport mit anderen Verkehrsmitteln in den Luftbeförderungsvertrag aufzunehmen. Somit ist es den Parteien also möglich, dem MÜ auch für solche Transporte Anwendung zu verschaffen, bei denen es sich nicht bloß um Zubringerdienste (Art 18 IV MÜ) handelt.

Also: Grundsätzlich war das MÜ auf den gesamten streitgegenständlichen Transport anwendbar.

Für die Frage, ob der P sich denn nun unter den Haftungsschirm des MÜ retten konnte, war entscheidend, ob der Verlust während der Obhutszeit des  Luftfrachtführers eingetreten war.

Auch diese Frage beantwortete der BGH zugunsten des P. Nach der Vermutungsregel des Art. 18 Abs. 4 S. 2 MÜ sei einstweilen davon auszugehen, dass der Verlust während der Luftbeförderung eingetreten sei. Außerdem musste der V als Anspruchsteller ohnehin beweisen, dass der Verlust (für ihn günstigerweise) auf der Straße eintrat mit der Folge, dass sich die Haftung nach Landfrachtrecht richten würde.

Ein solcher Beweis ist dem Absender regelmäßig schlechthin unmöglich, da er in die Abläufe der Transporte keinerlei Einblick hat.

Von der dargestellten Beweislastregel gibt es allerdings eine im vorliegenden Fall eine entscheidende Ausnahme:

Die sekundäre Darlegungslast. Darunter versteht der BGH die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelte Verpflichtung einer Partei, dem darlegungspflichtigen Gegner seinen Vortrag zu erleichtern, indem er näher vorträgt zu solchen relevanten Tatsachen, die allein seinem (des Anspruchsgegners) Wahrnehmungsbereich zuzuordnen sind.

Daher hatte der P vorliegend konkret vorzutragen zu den zum Verlust der Ware führenden Umständen – obwohl der A beweisbelastet war. Zu den erforderlichen Details, zu denen der Frachtführer demnach vorzutragen hat, zählen insbesondere Zeitpunkt der geplanten Weiterbeförderung, Ort und Zeitpunkt der letzten Registrierung der Ware durch den Frachtführer oder Einzelheiten zu Schnittstellenkontrollen.

Weder hatte P entsprechend vorgetragen noch die Mangelhaftigkeit seines Vortrags nachvollziehbar erklärt. Und bereits dieser fehlende Vortrag genügte dem BGH, um von einer Widerlegung der Vermutung (Verlust während Luftbeförderung) auszugehen. Folge: Anwendbarkeit des Landfrachtrechts.

Auch im Rahmen der Prüfung, ob P ein qualifiziertes Verschulden traf, und er somit ohne Rücksicht auf Haftungsbeschränkungen in voller Höhe zu haften hatte, hatte sein lückenhafter Vortrag Konsequenzen. Auch hier treffe P eine umfangreiche Einlassungsobliegenheit hinsichtlich eingeleiteter Ermittlungsmaßnahmen nach Feststellung des Verlusts (bis hin zur Befragung einzelner Mitarbeiter) und zur Betriebsorganisation eines unterbeauftragten Lufttransportunternehmens. Letzteres sei dem P auch ohne weiteres zuzumuten, da Subunternehmen als „weitere Leute“ iSd. § 428 S. 2 HGB anzusehen seien.

Unzureichender Vortrag zu getroffenen Sicherungsmaßnahmen ergebe, dass der P leichtfertig gehandelt habe und somit unbeschränkt haften müsse.

Wie aber war der dem Scheck beigefügte Zusatz zu werten, dass mit der Einlösung alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten waren? Hatte A durch die Einlösung durch konkludentes Verhalten einen Erlass- oder Vergleichsvertrag mit P abgeschlossen?

Der BGH sah die grundsätzlich strengen Anforderungen an den Abschluss eines Erlassvertrags nicht erfüllt: Bereits angesichts der geringen Entschädigungssumme spreche nichts dafür, dass A auf den Ersatz weiteren Schadens bewusst habe verzichten wollen.

Die Frage, ob daran denn auch der Umstand nichts ändere, dass die Schecksumme dem im Frachtbrief angegebenen Versicherungswert entsprach, beantwortete der BGH lapidar mit „nein“, und verwies auf das „grobe“ Missverhältnis zwischen gezahlter Entschädigung und gefordertem Ersatz.

Nach Ansicht des BGH ist also der Spediteur/Frachtführer auch dann gehalten, detailliert zum Schadenereignis vorzutragen, wenn beide Parteien übereinstimmend einen einheitlichen Luftbeförderungsvertrag abschließen wollten.


Das hier besprochene Urteil ist mit folgenden Angaben zu finden:

Aktenzeichen:   I ZR 109/11
Datum:   10.05.2012




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