Praktische Schadenbeispiele

Vortrag von Frau Dr. phil. habil. Renate Scharnow, freie Sachverständige, Warnemünde
vorgetragen von Herrn Kap. Uwe-Peter Schieder, GDV e.V.

Für den Bereich der praktischen Fälle hat uns Frau Dr. Scharnow aus ihrem Erfahrungsschatz 6 Fälle aufbereitet. Diese teilen sich in 2 Gruppen auf:

Hygroskopische Waren
Kokosgewebe-Ballen
Baumwoll-Ballen
Zellstoff-Ballen

Nicht hygroskopische Waren
Mica/Glimmer
Fensterglas
Naturkautschuk





Nässeschäden an Kokosgewebe-Ballen

Aufgrund ihres hohen Ligningehaltes ist die Kokosfaser sehr widerstandsfähig, muß aber bei der Lagerung und somit auch während des Transportes vor jeglicher Feuchtigkeit, wie See-, Regen- und Kondenswasser, geschützt werden.

Kokosnuß

Abbildung 1
Kokosnuß

Abbildung 2
Kokosmatten

Abbildung 3


Schadenfall: Die Verpackung wies sowohl Nässeflecke (schwarze Stockflecke, verursacht durch Bakterien) als auch Schimmelschäden auf. Die Schimmelschäden sind durch grüne, rote oder bräunlich gefärbte Flecke mit unscharf abgegrenzten Rändern gekennzeichnet. Durch die Bakterien kann das Verpackungsgewebe derart zersetzt werden, daß es lokal zerfällt.

In einigen Bereichen reagierten die Nässeflecke zum Teil auf Salz-Ionen, welche mit Hilfe der Silbernitratmethode festgestellt wurden. Dies läßt den Verdacht auf eine Seewasserbeschädigung zu.

Schimmel

Abbildung 4
Seewasser

Abbildung 5
Flecken

Abbildung 6
Ränder

Abbildung 7
Rost

Abbildung 8
Verfärbung

Abbildung 9



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Nässeschaden auf MS S. mit einer Ladung Baumwollballen und Baumwollgarnen

In der Baumwollkapsel befinden sich die Samen mit den Samenhaaren, die zur Zeit der Reife die Kapsel sprengen, herausquellen und einen 20fach größeren Umfang annehmen, so daß die Baumwolle einem Wattebausch gleicht.

Unter normalen Bedingungen wird Baumwolle bei einem Wassergehalt von 8 %, welches einer Gleichgewichtsfeuchte von 70% entspricht, zum Transport angedient. Darüber hinaus verfügt die Baumwolle über ein erhebliches Quellungsvermögen.

Baumwollkapsel

Abbildung 10
Baumwollballen

Abbildung 11
SI

Abbildung 12


Schaden: Durch eine Kollision kam es auf MS S. zu einer Fremdzündung der Baumwolladung. Um die Löscharbeiten zu unterstützen bzw. zu ermöglichen, wurde das Schiff auf Grund gesetzt, um mit großen Mengen Wasser und zusätzlichen Löschmannschaften den Baumwollbrand zu bekämpfen.

Schaden

Abbildung 13
Querschnitt

Abbildung 14



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Quellung von Zellstoffballen auf MS N.

Zellstoff ist ein Halbstoff und besteht zu 95 % aus Holz. Er dient zur Herstellung von Papier. Weißschliff zur Herstellung von Druck- und Schreibpapier, Braunschliff zur Herstellung von Pappe und Packpapier.

Es kommt vorwiegend sog. Trockenzellstoff mit einem Wassergehalt von 5 bis 10 % zum Versand.

Trockenzellstoff wird in Ballen versandt und verlangt nach ausreichendem Schutz vor Feuchtigkeit jeglicher Art. Zusätzlich verfügt der Zellstoff sowie einige andere Faserstoffe über ein erhebliches Quellungsvermögen. Dieses Quellungsvermögen kann bei ausreichender Feuchtigkeitszufuhr zu einer Volumenvergrößerung bis zu 50 % führen.

Schadenfall: Beim vorliegenden Schadenfall handelt es sich um einen Kollissionsschaden mit erheblichem Wassereinbruch auf der Steuerbordseite. Da ausreichend Seewasser in die Luken eindringen konnte, quoll der Zellstoff umgehend und verursachte erhebliche Schäden am Schiff.Die Lukenabdeckungen wurden dadurch aufgedrückt und das Schiff mittschiffs vollkommen deformiert. Auch die umgehend eingeleiteten Löscharbeiten konnten nicht verhindern, daß das Schiff zu einem konstruktiven Totalschaden wurde.

Schaden

Abbildung 15
Schaden

Abbildung 16
schaden

Abbildung 17
Schaden

Abbildung 18



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Nässeschäden an einer Ladung Mica in Jutesäcken

Glimmer oder Nikanit, lat. mica, ist ein anorganischer Isolierstoff, welcher in Blättchen-, Pulver- oder Kristallform zur Verschiffung kommt. Mica dient in der Elektroindustrie als Isolierstoff und wird als Bestandteil zum Herstellen von Schutzbrillen, welche an Hochöfen eingesetzt werden, gebraucht.

Um seine gute Isolierwirkung nicht zu verlieren, muß jeglicher Kontakt von Mica mit Seewasser vermieden werden. In der einschlägigen Schadenverhütungsliteratur, also auch in unserem TIS, ist darüber hinaus zu lesen, daß Mica grundsätzlich über eine hohe Trockenheit verfügen muß, da die verwendeten Jutesäcke Schaden nehmen können.

Jute

Abbildung 19
Querschnitt

Abbildung 20


Da Jute stark verholzt ist und nicht nur aus reiner Zellulose besteht, ist sie spröde und hat einen harten Griff. Sie ist bei weitem nicht so reißfest wie Flachs oder Hanf. Der Vorteil bei Jute ist die hohe Rutschfestigkeit, und daher wird sie auch für typische Sackverladungen, wie für Kaffee, Kakaobohnen, Getreide usw., bevorzugt. Die Festigkeit in einem Stau wird durch die hohe Reibung der Jute zueinander deutlich verbessert.

Jutegewebe

Abbildung 21


Schadenfall: Mica wurde beim Verladevorgang in Indien zur Monsunregenzeit naß. In Hamburg angekommen, waren die Jutesäcke derart verrottet, daß sich die Ladung mit den Juteteilchen so stark vermischt hatte, daß eine Trennung unmöglich wurde. Durch die organischen Verunreinigungen in der Mica wurde die Ladung zu einem Totalverlust.

Schon im Warenhandbuch des DTV wird ein Schadenszenario mit Jute wie folgt beschrieben:

Feuchtgewordene Juteballen, welche von außen wieder abtrocknen, können bei ausreichender Durchfeuchtung im Inneren des Ballens zur Zersetzung der Jute über das Mürbe- und Morschwerden bis hin zum staubförmigen Verfallen der Jute führen.

Da Jute sich bis zu einer 34 %igen Feuchtigkeit trocken anfühlt, kann die Verschiffungseignung durch subjektive Testmethoden, sprich Anfassen bzw. Fühlen, nicht festgestellt werden. An dieser Stelle sind Feuchtigkeitsmessungen angezeigt.

Frau Dr. Scharnow hat in der Vergangenheit eine Sorptionsisotherme für Jute in Auftrag gegeben. Diese Sorptionsisotherme basiert auf dem Feuchteverhalten von Jute bei 20 °C. Der auf der Kurve vermerkte Punkt PK ist der kritische Punkt, bei dem die Jute eine Gleichgewichtsfeuchte von 65 % bei einem Gesamtwassergehalt von 9 % erreicht hat. Liegen die Wassergehalte jenseits dieser 9 %, kann es zu Schäden bei der Jute führen. In der Vergangenheit waren in der Fachliteratur bisher Werte von 12,5 bis 13,7 % angegeben. Diese zu hohen Werte können zum Schaden führen.

SI

Abbildung 22



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Glaskorrosion bei Fensterglas

Fensterglas ist jedem der Anwesenden bekannt, es wird in den verschiedenen Stärken von 0,8 bis 7 mm hergestellt, Spezialgläser sicherlich noch mit größeren Dicken.

Die Empfehlungen zur Lagerung von Fenster- und Flachglas lauten wie folgt:

Der Lagerraum sollte trocken sein und eine relative Luftfeuchtigkeit von 60 bis 70 % aufweisen. Die optimale Lagertemperatur beträgt 12 und 22 °C.

Schadenfall: Fensterglas in Verschlägen, welches sich wochenlang im Freilager des Ladehafens befand, ist während der Lagerung blind geworden und wurde dadurch zum Totalverlust.

Glas wird in 5 verschiedenen Wasserbeständigkeitsstufen gegenüber Wasser, den Hydrolyseklassen, unterschieden. Diese Hydrolyseklassen sind in DIN-Normen festgelegt und werden mit Schwefel- oder Salzsäure untersucht. Die Hydrolyseklasse 1 weist die beste und die Hydrolyseklasse 5 die schlechteste Widerstandsfähigkeit gegen Säuren und auch gegen Wasser auf. Für Fensterglas wird die Hydrolyseklasse 5 gefordert. Wie die Praxis beweist, bleibt Fensterglas über viele Jahrzehnte vom Regenwasser unbeeinflußt.

Erst wenn Glasscheiben „aneinanderkleben", können sich die ausgelösten OH-Ionen anreichern, und das eingeschlossene Wasser zwischen den Scheiben wird alkalisch. Diese Lauge greift das Glas jetzt stärker an und potenziert den Vorgang dadurch. Nach wochenlanger Einwirkdauer kann es dazu kommen, daß das Glas fleckig wird und Blindheit aufweist. Im Extremfall kleben die Scheiben derart aneinander, daß sie nicht mehr voneinander gelöst werden können.


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Nässeschäden bei Naturkautschuk

Naturkautschuk kommt in den verschiedensten Formen zum Versand. Im vorliegenden Schadenfall handelt es sich um Kautschukfelle (sheets), die aus Latex gewonnen und nach diversen Arbeitsgängen getrocknet und zu Ballen gepreßt wurden.

In der Vergangenheit traten beim Seetransport von Naturkautschuk als Ballen- sowie als Palettenkautschuk aus Südostasien nach Europa immer wieder Feuchtigkeitsschäden in Form von Schimmel, Verfärbung, Stockflecken und Fäulnis in Verbindung mit unangenehmen Gerüchen auf. Die Schäden waren beim Verladen häufig nicht erkennbar, da der Kautschuk im Inneren der Ballen Schaden genommen hatte. Grundsätzlich stellt sich im Schadenfall die Frage: War der Kautschuk von Anfang an zu feucht (Vorreiseschaden) oder erfolgte die Durchfeuchtung durch Regen-, Kondens- oder durch Seewasser während des Transports?

Um den Durchfeuchtungszeitpunkt festzulegen, eignet sich die warenkundlich-mikrobiologische Analyse der Schimmelpilzflora nach Prof. Stantschew. Wie wir bei der letzten Schadenverhütungstagung gehört haben, ist die Entwicklung von Mikroorganismen sehr stark von äußeren Umweltfaktoren, wie Temperatur, Feuchtigkeit und Sauerstoffzufuhr, abhängig. Die Warenkundlich-mikrobiologische Analyse (= von Stantschew eingeführter Begriff!) macht sich diese Umstände zunutze.


Beobachtung der Schimmelpilzstadien

Durch die Beobachtung der Entwicklungsstadien der Schimmelpilze kann man den Zeitpunkt der Verschimmelung ableiten:

Stadium 1

Abbildung 23
Stadium 2

Abbildung 24
Stadium 3

Abbildung 25
Stadium4

Abbildung 26
Vertrocknetes Mycel

Abbildung 27
Autolyse

Abbildung 28
Sporen

Abbildung 29
Aspergillus candidus

Abbildung 30



Temperaturansprüche der Schimmelpilze

Die Schimmelpilze unterteilen sich im Bereich der Temperaturansprüche in die psychrophilen, mesophilen und thermophilen Gruppen auf.

Mikrobenwachstum

Abbildung 31


Herr Prof. Stantschew hat die mesophile Temperaturgruppe (in der Grafik durch die Kurven 2 und 3 dargestellt), die für die Verschimmelung des Naturkautschuks maßgeblich verantwortlich ist, in 2 Gruppen unterteilt:
  1. Die alpha-mesophilen Mikroorganismen für den Temperaturbereich von 25 bis 28 °C (Kurve 2).

  2. Die beta-mesophilen Mikroorganismen für den Temperaturbereich von 32 bis 35 °C (Kurve 3).

Bei Temperaturen höher als 32 °C findet man vorwiegend beta-mesophile Arten, bei Temperaturen unter 28 °C vorwiegend alpha-mesophile Arten. Bei gleichmäßigen Temperaturen zwischen 25 und 32 °C findet man alpha- und beta-mesophile Arten in gleichen Zahlenverhältnissen der Keime.

Der in unserem Schadenfall vorhandene Aspergillus candidus kommt in unserer Klimazone sehr selten vor. Er konnte sich aber während der Zeit in Indonesien bei den dort vorherrschenden Temperaturen um die 32 °C hervorragend entwickeln.


Sauerstoffbedarf der Mikroorganismen

Da Schimmelpilze aerob sind, d.h. sie brauchen Luftsauerstoff zur Entwicklung, kommen sie meist an den Oberflächen der sheets oder der befallenen Stoffe vor.
Bakterien sind obligat oder fakultativ anaerob, d.h., daß sie auch ohne Luftsauerstoff gedeihen können.

Diese beiden Grundvoraussetzungen erklären den Umstand, daß im vorliegendem Schadenfall bei der Untersuchung in großer Zahl Sporen und Autolysereste von Pilzfäden des Aspergillus candidus gefunden wurden sowie eine große Anzahl von aktiven Bakterien. Zwischen den dicht nebeneinander liegenden Kautschukfellen waren kleine Mengen Sauerstoff bei ausreichender Feuchtigkeit mit eingeschlossen worden. Dieser Sauerstoff ermöglichte dem beta-mesophilen Schimmelpilz eine gute Entwicklung, die durch den Verbrauch des Luftsauerstoffs zwischen den einzelnen Kautschuksheets begrenzt wurde. Da Bakterien auch anaerob aktiv sind, konnten sie in den Zwischenräumen, in denen der Luftsauerstoff verbraucht war, aber noch immer ausreichend Feuchtigkeit vorhanden war, tätig sein. Bei der Aktivität von Bakterien spricht man von einer bakteriellen Korrosion, weil sie im Gegensatz zu den Schimmelpilzen wesentliche Veränderungen des Kautschuks hervorrufen. Ihre Enzyme zersetzen, verfärben und verkleben den Rohkautschuk, was mit einer üblen Geruchsentwicklung verbunden ist.


Ergebnis/Schlußfolgerung

Bei der Untersuchung wurden aktive Bakterien sowie Mycelfragmente und Sporen des Aspergillus candidus auf den Kautschuksheets gefunden. Weitere Schimmelpilze waren nicht oder nur kaum vorhanden. Diese uniforme Bevölkerung durch den beta-mesophilen Schimmerlpilz läßt die eindeutige Schlußfolgerung zu, daß eine Durchfeuchtung bereits vor Antritt der Reise erfolgt sein mußte.

Wäre die Durchfeuchtung während der Reise, z.B. durch Kondenswasser erfolgt (durch Temperaturschwankungen ect.), hätten sich alpha-mesophile Arten an den Stellen entwickelt, welche noch nicht von den beta-mesophilen Arten befalllen waren. Dieses war hier jedoch nicht der Fall. Somit ist mit Sicherheit von einer Durchfeuchtung vor der Reise auszugehen. Es handelt sich also um einen Vorreiseschaden, der durch nicht genügende Trocknung der sheets durch den Hersteller bzw. Nässe (Regenfälle) vor dem Emballieren und zu hohe Luftfeuchte im indonesischen Ladehafen bei Temperaturbedingungen über 32 °C erfolgt sein muß.


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