2  Konventionelle Regeln und Berechnungsverfahren
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Konventionelle Berechnungsverfahren unterscheiden Direktzurrung und Niederzurrung und wenden beide Sicherungsprinzipien auf die Ziele Rutschsicherung und Kippsicherung an. Das Sicherungsprinzip der Kompaktierung, welches im Gütertransport auf der Straße häufig im Form von Umreifung oder Bündelung vorkommt, wird rechnerisch kaum geprüft.

Nachstehend werden die konventionellen Berechnungsverfahren kurz vorgestellt mit Hervorhebung der Rahmenbedingungen und vereinfachenden Annahmen. Um jüngste Entwicklungstendenzen deutlich zu machen, werden die Rechenkonventionen von drei Regelwerken vorgestellt und gegebenenfalls verglichen:

Quelle [1]        VDI 2700, Blatt 2 vom November 2002,

Quelle [2]        DIN EN 12195-1 vom April 2004,

Quelle [3]        DIN EN 12195-1 vom Januar 2009.

Die Bezeichnungsweise der Rechengrößen in den Formeln ist in den genannten Regelwerken unterschiedlich. Um die Vergleichbarkeit zu erleichtern, wird für die vorliegende Darstellung folgendes vereinbart:

F = in der Rechnung angenommene Kraft im Ladungssicherungsmittel [kN]

Fx, Fy, Fz = Komponenten der Kraft im Koordinatensystem der Ladefläche [kN]

L = Länge des Ladungssicherungsmittels [m]

X, Y, Z = geometrische Komponenten der Länge L [m]

m = Ladungsmasse [t]

fx, fy = Beschleunigungsbeiwerte in Längs- und Querrichtung

μ = Reibbeiwert

n = Anzahl der parallelen Sicherungsmittel

Bild 10: Räumliche Koordinaten eines Ladungssicherungsmittels

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2.1  Direktzurrung

Eine Direktsicherung verbindet Ladung und Fahrzeug mit Ladungssicherungsmitteln, welche in der Lage sind, Kräfte direkt durch Zug-, Druck- oder Schubspannungen zu übertragen. Die Grenzen dieses Sicherungsprinzips sind nach konventioneller Bewertung allein durch die Belastbarkeit dieser Ladungssicherungsmittel und der beteiligten Befestigungspunkte an Ladung und Fahrzeug gegeben.

2.1.1  Rutschsicherung

Die Bilanzen stellen die auf die Ladungsmasse bezogene Lastannahme der Reibung und der Wirkung der Zurrmittel gegenüber. Die Reibung wird generell unter Verwendung des Gleitreibbeiwerts und der Normalkraft = Ladungsgewicht berechnet. Die Sicherungswirkung der Zurrmittel setzt sich aus Horizontalkomponente und der mit dem Gleitreibbeiwert multiplizierten Vertikalkomponente zusammen.

Die Bilanz in Quelle [1] für die Querrichtung lautet:

Die Bilanzen in Längsrichtung sehen sinngemäß aus. Die Bilanzen werden nach n oder nach F aufgelöst, um den Sicherungsaufwand zu bestimmen.

Der gezeigte Ansatz wird grundsätzlich auch in den anderen Quellen verwendet. Die Quellen [2] und [3] bestimmen die Kraftkomponenten jedoch nicht mit Hilfe der Längenkomponenten, sondern mit entsprechenden Winkelfunktionen der Laschwinkel α und βx bzw. βy. Die Beziehungen lauten:

, ,

In den Quellen [2] und [3] wird zusätzlich eine Variante der Bilanz für die Rutschsicherung mit Direktzurrung und Blockierung gezeigt. Dabei wird die Blockierkraft BC ohne Berücksichtigung der Steifigkeit der Blockierung den Sicherungskräften hinzugefügt.

In Quelle [3] werden als Reibbeiwerte sogenannte Standardwerte eingesetzt, die in der Rutschbilanz mit dem Faktor 0,85 verringert werden. Diese Standardwerte sind Mittelwerte aus Messreihen von Haftreibbeiwerten, die mit 0,925 multipliziert wurden und Gleitreibbeiwerten, die durch 0,925 dividiert wurden, jeweils für die gleiche Materialpaarung. Die Bilanz in Querrichtung lautet dann:

2.1.2  Kippsicherung

Die Kippsicherung wird nur dann geprüft, wenn die Eigenstandfestigkeit der Ladungseinheit nicht ausreicht. Die Prüfkriterien für die Eigenstandfestigkeit sind damit Bestandteil des Rechenmodells.

Nach Quelle [1] lauten die Prüfkriterien für ausreichende Eigenstandfestigkeit mit L, B, H = Länge, Breite, Höhe einer (quaderförmigen) Ladungseinheit mit Schwerpunkt im geometrischen Zentrum und fw = 0,2 (Wankfaktor):

Kippsicherheitsprüfung in Querrichtung B : H > (fy + fw),

Kippsicherheitsprüfung in Längsrichtung L : H > fx

Die Bilanz in Querrichtung lautet:         

Die Bilanzen in Längsrichtung sehen sinngemäß aus, jedoch ohne den Wankfaktor. Die Bilanzen werden nach n oder nach F aufgelöst, um den Sicherungsaufwand zu bestimmen. Auf die Möglichkeit asymmetrischer Schwerpunktlage wird nicht gesondert eingegangen.

Quelle [2] behandelt die Kippsicherung mit Hilfe von Direktzurrung unzureichend. Die Prüfkriterien für die Kippsicherheit sind wie in [1], jedoch mit einer unklaren Formulierung in Bezug auf den bei der Prüfung zu verwendenden Querbeschleunigungsbeiwert. Eine eigene Kippbilanz wird jedoch nicht angegeben, sondern ein System von Ungleichungen, welches für einen Sicherungsfall mit Diagonalzurrung und gleichzeitiger Blockierung sowohl die Rutschsicherheit als auch die Kippsicherheit nachweisen soll.

Das Ungleichungssystem ist aber nur für den Nachweis der Rutschsicherung zielführend, wenn auch unter Außerachtlassung der unterschiedlichen Lastaufnahme von Zurrung und Blockierung (siehe 2.1.1). Für den Nachweis der Kippsicherung ist es unbrauchbar und führt leicht zu falschen Ergebnissen. Die Formeln lauten im Originaltext für die Querrichtung mit n = 2 Laschings pro Seite:

Formel 17:      

Formel 18:      

Formel 19:      



BC = Blockierkraft [kN]

a = vertikaler Laschwinkel

β = horizontaler Laschwinkel

mD = Gleitreibbeiwert

LC = zulässige Zurrkraft [kN]

cy = Querbeschleunigungsbeiwert

cz = Vertikalbeschleunigungsbeiwert

m = Ladungsmasse [t]

g = Erdbeschleunigung [m/s2]

Die Größen d, b, w und h werden in Bild 11 anschaulich gemacht. Bild 11 zeigt eine Sicherungssituation, wie sie in der VDI-Richtlinie 2700, Blatt 2, Bild 14 dargestellt ist.

Bild 11: Zur Anwendung der Kippsicherungsprüfung nach DIN EN 12195-1

Formel 17 entspricht dem konventionellen Ansatz für den Rutschsicherheitsnachweis. Formel 18 soll die Kippsicherung durch die Zurrung nachweisen. Die Blockierung trägt zur Kippsicherheit nicht bei. Insofern ist die Formel 19 überflüssig.

Ein Rechenbeispiel zeigt die Untauglichkeit der Formel 18 mit den Werten m = 10 t, cy = 0,7, cz = 1, h = 3,0 m, d = 1,5 m, b = 0,25 m w = 0,5 m, α = 64°, by = 0°,mD = 0,4, n = 2

Die Kippbilanz nach Quelle [1] lautet:

Zur Vergleichbarkeit wird ersetzt: H/2 = d, B/2 = b, H = h, B = w. Der Winkel α liefert die Größen Y, Z und L. Z = h = 3,0 m, L = h/sinα = 3,34 m und Y = L × cosa = 1,46 m.

Die Formel nach Quelle [2] zeigt in diesem Beispiel ein wesentlich zu kleines Ergebnis. Die Differenz wird umso gravierender, je größer der Reibungsbeiwert μD ist, der in einer Kippbilanz im Grunde nichts zu suchen hat.

Quelle [3] enthält einen verringerten Wankfaktor, indem bei kippgefährdeten Ladungseinheiten und Direktzurrung mit einem Beschleunigungsbeiwert cy = 0,6 gerechnet werden soll. Die Prüfung der Kippsicherheit wird jedoch mit cy = 0,5 und cz = 1 vorgenommen:

Kippsicherheitsprüfung in Querrichtung b : d > cy : cz,

Die neu aufgenommene Kippbilanz ist der in Quelle [1] angegebenen gleichwertig. Daneben steht aber immer noch das teilweise untaugliche System von Ungleichungen, welche schon in Quelle [2] zu finden ist.

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2.2  Niederzurrung

Niederzurrung wird konventionell überwiegend so behandelt, dass nur die vertikale Komponente der Vorspannkraft entweder als reibungserhöhend oder als kippsichernd eingesetzt wird. Niederzurrungen haben generell keine horizontalen Laschwinkel und werden überdies praktisch nur in Querrichtung zum Fahrzeug angebracht.

2.2.1  Rutschsicherung

Quelle [1] liefert die Rutschbilanz in der oben vereinbarten Schreibweise:

Die Bilanz kann nach n oder F aufgelöst werden. Für F wird die Mindestvorspannkraft empfohlen, die aber 50% LC nicht überschreiten soll. Bei einseitiger Vorspannung wird empfohlen, diese auf der Spannseite zunächst höher aufzubringen, damit beim Ausgleich während der Fahrt der Vorspannungsverlust insgesamt nicht so hoch ausfällt. Ein k-Faktor wegen Reibungsverlust ist nicht vorgesehen. Für μ wird der Gleitreibbeiwert eingesetzt.

Quelle [2] übernimmt diesen Ansatz, führt jedoch bei einseitiger Vorspannung den k-Faktor ein, der den Faktor 2 (zwei niederzurrende Parten pro Überspannung) ersetzt.

Bei einseitiger Vorspannung gilt k = 1,5, bei beidseitiger Vorspannung k = 2. Es wird ebenfalls der Gleitreibbeiwert verwendet. Bei diesem Ansatz bleiben die beiden unterschiedlichen Horizontalkomponenten der Überspannungen unberücksichtigt. Die Differenz dieser Kräfte könnte in die Bilanz einfließen. Die beiden Kräfte betragen:

Vorspannseite:                       Gegenseite:

Quelle [3] kehrt von dem k-Faktor wieder ab, führt aber einen Sicherheitsfaktor fs = 1,1 ein, welcher die notwendige Vorspannkraft um 10% vergrößert. Die Bilanz lautet:

Diese Vereinbarung entspricht einem k-Faktor von 1,82. Der Sicherheitsfaktor wird in [3] allerdings nicht mit dem Umspannungsverlust, sondern mit Rechenunsicherheiten begründet.

Quelle [3] enthält außerdem eine Rutschbilanz für die Kombination von Niederzurrung und Blockierung, wiederum ohne Berücksichtigung der Lastaufnahmeverhaltens beider Sicherungsmittel.

2.2.2  Kippsicherung

Quelle [1] interpretiert die Wirkung der Niederzurrung als Vergrößerung der Normalkraft auf die Ladefläche, die mit der halben Breite als Hebel das Eigenstandmoment vergrößert. Horizontale Kraftkomponenten der Niederzurrung heben sich hier auf.

In Längsrichtung wird eine sinngemäße Formel angegeben, die aber von längsgerichteten Überspannungen ausgeht. Die Kippsicherung in Längsrichtung durch quer verlaufende Überspannungen wird nicht behandelt.

Quelle [2] behandelt in der Kippbilanz die Kräfte auf beiden Seiten der Ladungseinheit separat und nimmt dabei den ungünstigeren Fall an, bei dem die äußere Kraft zur vorgespannten Seite hin wirkt. Die dadurch erweiterte Bilanz lautet in der vereinbarten Schreibweise:

Löst man diese Bilanz nach n × F auf, so erhält man:

Diese Formel zur Bestimmung des erforderlichen Sicherungsaufwands hat die unangenehme Eigenschaft, dass auf der rechten Seite der Nenner des Bruchs ohne weiteres den Wert Null annehmen kann. Das bedeutet für die linke Seite ein gegen Unendlich strebendes Ergebnis. Ist der Nenner gleich Null, dann liegt eine Konstellation der Größen B, Z, H und Y vor, bei der jede weitere hinzugefügte Niederzurrung durch die Differenz ihrer Horizontalkomponenten die kippsichernd wirkende Vertikalkomponente aufhebt, also keine Wirkung zeigt.

An dieser Stelle sei im Vorgriff auf Kapitel 3 angemerkt, dass das "Gestatten" eines kleinen Versatzes, Verschubs oder Ankippens der Ladungseinheit die Kräfte umkehrt. Die Bilanz lautet dann:

Aufgelöst nach n × F erhält man:

Der Unterschied der Ergebnisse wird an einem Beispiel demonstriert. Die Werte sind: H = Z = 2,75 m, B = 1,5 m, Y = 0,5 m, L = 2,8 m, F = 2,5 kN, m = 6 t

Bild 12: Kippbilanz nach Quelle [2] links; Alternative rechts

Nach Quelle [2] gemäß Bild 12 links sind 10 Niederzurrungen zur Sicherung gegen Kippen erforderlich. Rechnet man mit einem Wechsel der Gurtspannungen gemäß Bild 12 rechts, so reichen 3 Niederzurrungen aus. Auch in diesem Fall entspricht die Verteilung der Gurtspannungen dem Kraftabfall durch Reibung an den Umlenkungen der Gurte. Die Dehnung der Gurte infolge des geringfügigen Verschubs der Ladungseinheit und die daraus folgende Kraftzunahme ist in diesem Vergleich noch nicht einmal berücksichtigt worden.




Verringert man die Breite B auf 0,5 m, so geht die Anzahl der erforderlichen Niederzurrungen nach der Berechnung in Quelle [2] gegen Unendlich, während die Berücksichtigung einer kleinen Ladungsbewegung zu 7 Niederzurrungen führt.

Quelle [3] verwendet den k-Faktor nicht mehr und vermeidet dadurch die unglückliche Berechnung zur Kippsicherung. Es wird der Ansatz aus Quelle [1] übernommen mit folgenden Modifizierungen:

         Querbeschleunigungsbeiwert fy = 0,5, wenn die Vorspannung FT = STF

         Querbeschleunigungsbeiwert fy = 0,6, wenn die Vorspannung FT = 0,5 × LC. 

         Ein Sicherheitsfaktor fs = 1,1 führt zur Vergrößerung der Vorspannung oder der Anzahl n

Zusätzlich enthält die Quelle [3] einen Rechenansatz, welcher die kompaktierende Wirkung von Niederzurrungen auf eine Gruppe von nebeneinander stehenden hohen und schmalen Ladungseinheiten im Hinblick auf Kippsicherung prüft. Dieser Ansatz kann als richtungweisend zur rechnerischen Überprüfung von Kompaktierungsmaßnahmen angesehen werden.


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